So und nicht anders stellen sich Sondengänger einen großen Wurf vor:  Suchend über Stock und Stein stolpernd pfeift es plötzlich und ohrenbetäubend intensiv. Unter Laub und Gras holt der Schatzsucher Goldmünzen aus der Erde ans Tageslicht. 

Genau dieses Traum-Szenario wurde für einen Raub-Sondengänger im Sommer 1991 zur Realität: Anstatt Militaria aus Blei und Blech von den Franzosenkriegen fand er an einem Abhang in Aldrans einen üppigen Goldschatz aus dem Frühmittelalter. Dass 86 Goldmünzen aus dem letzten Drittel des sechsten Jahrhunderts nach Christus nicht sofort in Privatsammlungen verschwanden verdanken wir Tiroler indes einem Wiener Universitätsprofessor. 

Es ist durchaus möglich, dass der Münzschatz im Zuge der damals erfolgten Grabungen einer Erdgasleitung aufgewühlt worden war. Wie auch immer: Ende August 1991 tauchten erste Raritäten im Wiener Münzhandel auf. Aus Zufall kam Wolfgang Hahn, Professor für Numismatik an der Uni Wien, auf die Spur der seltenen Münzen, ja sogar in Kontakt mit dem Schatzsucher. Auf das Betreiben des Münzexperten rang sich das Land Tirol dann sogar durch, die insgesamt 86 Goldmünzen anzukaufen. Heute werden sie im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ausgestellt. 

WESHALB KOMMT IM FRÜHMITTELALTER SO VIEL GOLD NACH ALDRANS?

Die Verwunderung war groß. Zur Aufklärung dieses Krimis war historisch-kriminalistisches Talent gefragt. Numismatiker, Historiker, Archäologen und Dorfchronisten konnten jetzt ihr Wissen unter Beweis stellen. Den  entscheidenden Anteil an der Aufklärung hatten indes Univ. Prof. Wolfgang Hahn und seine Kollegin Andrea Luegmeyer von der Uni Wien, die den Fund sichteten und dessen Systematik in einer interessanten Publikation zusammenfassten. 

86 MÜNZEN SIND 145,83 GRAMM REINES GOLD

Der Fund des Sondengängers bestand aus insgesamt 86 Goldmünzen, die allesamt im letzten Drittel des sechsten Jahrhunderts nach Christus geprägt worden waren. Sieben der Münzen sind sogenannte ‚Solidi‘. Das war die spätrömische Währung, die als feingoldene Standardmünze bis weit ins Mittelalter verwendet worden war. Ein Solidi hatte ein Sollgewicht von 4,5 Gramm. Die restlichen 79 Münzen werden Tremisses genannt und sind genau ein Drittel so schwer wie die Solidi, haben also ein Sollgewicht von 1,5 Gramm. Diese Münzen wurden besonders von den Germanen geschätzt. Insgesamt lagen also knapp 150 Gramm reines Gold am Waldboden in Aldrans verstreut. Das hat schon was.

Das war aber noch nicht alles. Obwohl Anzahl und Gewicht der Münzen ganz gut in ein mögliches Lösungs-Schema gepasst hätten, wie mich Professor Hahn wissen ließ. Bei Nachgrabungen wurden nämlich weitere Münzen gefunden, ein Solidus und acht Tremisses. Sie verschwanden flugs in Privatsammlungen. Als dann noch eine weitere Münze auftauchte, bestand der Gesamtschatz plötzlich aus umgerechnet 112 Tremisses. Guter Rat war nun teuer. Weshalb tauchte dieses kleine Vermögen in Aldrans auf?

EIN HALBES RÖMISCHES PFUND – FÜR WAS EIGENTLICH?

Gold wurde damals in römischen Pfundgewichten berechnet. Das Gesamtgewicht der in Aldrans gefundenen Münzen beträgt in Summe 163,75 Gramm. Und das wiederum ist nahezu aufs Zehntelgramm genau ein halbes Gewichtspfund des römischen Pfundansatzes von 327,45 Gramm, wie Hahn in einer weiteren Studie herausarbeitet. Es liegt der Schluss nahe, dass der Goldschatz von Aldrans nach dem Gold-Gesamtgewicht beurteilt werden muss. Anders ausgedrückt: Irgendjemand hatte vor 1430 Jahren ein halbes römisches Pfund Gold zu kriegen. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis.

WOHER KAM DER ZASTER? EINE NUMISMATISCHE SPURENSUCHE.

Numismatik nennt man die wissenschaftliche Beschäftigung mit Geld und seiner Geschichte. Da sich jeder Kaiser bei seinen Untergebenen vorstellen wollte, ließ er sein Konterfei auf Münzen prägen. Genau das eröffnet für Numismatiker den Blick in die damaligen politischen Verhältnisse, nennt quasi Ross und Reiter. Der Münzschatz von Aldrans gibt eine außerordentliche historische Tatsache augenscheinlich wieder: Während West-Rom schön langsam in den Wirren der Völkerwanderung und stetig wechselnden Machtstrukturen versank erhob sich Ostrom in der Gestalt von Byzanz oder Konstantinopel zu neuer Größe. Denn genau das spiegelt sich exakt im Fund wieder.

BYZANZ VS. ROM

Nach seinem Übertritt zum Christentum zog es Kaiser Konstantin bekanntlich gen Osten. Genauer nach Byzanz oder – nach ihm benannt – Konstantinopel. Rom war sich mehr oder minder selbst überlassen und geriet ins Fadenkreuz germanischer Stämme.

Das äußert sich auch im Schatzfund von Aldrans. Der zerfällt nach der Herkunft der Münzen im Besitz des Landesmuseums in zwei annähernd gleich große Teile: Er enthält 40 kaiserlich-byzantinische Münzen und 46 germanisch orientierte Münzen. Die byzantinischen stammen aus östlichen Münzstätten, die germanischen Münzen aus Prägeanstalten in Rom und Ravenna. Zeitlich verteilen sich die Münzen auf drei Kaiser: Auf Justinus II, der von 565-78 regierte, auf Tiberius (578-82)  und Mauricius (582-602).

HATTEN ‚URTIROLER‘ IHRE FINGER IM SPIEL?

Um dem Geheimnis des Fundortes auf den Grund zu gehen ist ein Exkurs in die Tiroler Geschichte im sechsten Jahrhundert nötig. Zentraltirol und der westliche Teil Tirols ab Innsbruck war von den Breonen besiedelt. Das Volk mit Stammesgebiet auch im Wipptal und in Südtirol war erfahren in der Bewachung von Alpenübergängen. Und gefürchtet ob der Räubereien und Überfälle auf Händler.

Bemerkenswert ist, dass die Breonen auch nach der römischen Okkupation des heutigen Tirol um 15 vor Christus ihre Clanstruktur und sogar ihre Sprache beibehalten durften. Der mögliche Grund dafür: Die Römer erkannten in ihnen erfahrene Bewacher der Alpenübergänge, die Wetter  und Gefahren exakt einschätzen konnten. Sie ließen die ‚Urtiroler‘, die sie später übrigens als Räter bezeichneten, gewähren, hielten sie sich doch damit auch Räuber und Halsabscheider vom Leib. Anfänglich war es nur der Reschen, später auch der Brenner, den die Breonen beschützten, nachdem die Engstelle bei Klausen befahrbar war und der Brenner ins Verkehrszentrum rückte. Damit konnten die Römer ohne gröbere Probleme auf der kürzesten Strecke ihre Legionen im heutigen Süddeutschland versorgen. Ich habe ein Beispiel für das Schicksal eines breonischen Dorfes beim Einmarsch der Römer in Tirol auf der Hohen Birga bei Birgitz bereits beschrieben.

DIE ‘URTIROLER’ HATTEN SICH AUF DIE ‘RICHTIGE’ SEITE GESCHLAGEN

Betrachtet man Westrom im sechsten Jahrhundert nach Christus, so war es von den Ostgoten, also den  Byzantinern quasi ‚übernommen‘ worden. Theoderich, ihr legendärer Führer, hatte die wichtige Funktion der Breonen erkannt und ihnen offiziell die Aufgabe zugewiesen, den Grenzschutz im heutigen Südtirol zu organisieren.

Man schrieb das Jahr 568, als die Langobarden in Italien einfielen. Und prompt kam es einige Jahrzehnte später zum Showdown. 590 starteten die romanisch sprechenden, erstarkten Franken in Form der Merowinger vom Gebiet des heutigen Graubünden – damals Churrätien – zur Invasion Norditaliens. Sie rollten das heutige Südtirol regelrecht auf und eroberten die langobardischen Kastelle bis hinunter nach Trient. Es ist anzunehmen, dass sich in ihrem Gefolge auch die Breonen und Bajuwaren befanden die den Franken gern zur Hand gingen. Denn da war Beute zu machen.

BEUTE ODER LÖSEGELD?

Die damaligen Kriege hatten ein vorrangiges Ziel: Beute zu machen und Geiseln zu fangen, womöglich hochrangige Adelige oder deren Angehörige. Die Gefangenen eigneten sich hervorragend zur Erpressung von Gold und Geld. Genau das ist im Fall der langobardischen Niederlage anzunehmen.

So ist belegt, dass der damalige langobardische Herrscher Evin 591 nach den verlorenen Schlachten bis ins Frankenreich fuhr um verschleppte Landsleute frei zu kaufen. Das ist auch das Stichwort für den Schatz von Aldrans. Waren langobardische Emissäre vielleicht auch hier unterwegs, um Geiseln freizukaufen? Deshalb sprechen Fachleute auch von einem ‘langobardenzeitlichen Münzschatz’. Verbleibt noch die Frage, weshalb sie ihr mögliches Lösegeld vergraben hatten.

Der Goldschatz entsprach einem Wert von genau einem halben römischen Goldpfund, das heute einen reinen Goldwert in der Höhe von stolzen 7.300 € darstellt. Das war vor mehr als 1400 Jahren eine Riesensumme, jedenfalls für Tiroler Verhältnisse. Das Gold war damals aber weniger als Zahlungsmittel gedacht. Solche Summen und Münzen dienten im Barbarenland eher der Vermögensbildung, wurden für Schmuckzwecke benötigt oder waren bisweilen symbolische Grabbeigaben.

Nach der Niederlage der Langobarden im heutigen Südtirol war die Summe des Aldranser Münzschatzes entweder Teil einer aufgeteilten Beute oder aber Lösegeld für Gefangene. Es spricht einiges dafür, dass es sich beim Schatz um Lösegeld gehandelt hatte. Interessant ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass sich eine Burg oberhalb von Trient auf einem Hügel namens ‚Dos Trento‘ um die Summe von 600 Solidi von der fränkisch-breonischen Besatzung freikaufen konnte. Denn dorthin hatten sich langobardische Truppen vor der fränkischen Übermacht geflüchtet. Wir können heute annehmen, dass die Breonen langobardische Gefangene nach Hause mitgeschleppt hatten in der Erwartung, dass diese anschließend freigekauft würden. 

Wenn wir weiters annehmen, dass ein mit dem Lösegeld versehener Abgesandter aus Trient zu Lösegeld-Verhandlungen ins Breonenland gekommen war ist nur geklärt, dass er ein halbes römisches Pfund Gold bei sich führte. Offen bleibt noch immer, weshalb er das Gold außerhalb der damaligen Siedlungen vergraben hatte. Sein Ziel könnte durchaus Ambanes gewesen sein, wie Aldrans im Frühmittelalter geheißen hatte. Vielleicht wollte er auch zuerst die Gefangenen suchen und sich vergewissern, ob sie noch leben. Da der Vertrag jedoch noch nicht beschworen war, traute der Unterhändler seinen Verhandlungspartnern vermutlich nicht über den Weg. Verglichen mit einem anderen Freikauf hätte er übrigens mit dem Betrag 35 Mann freikaufen können. 

Eine andere Theorie besagt, dass die Goldlieferung für den bayerischen Fürsten Tassilo bestimmt gewesen sei, der ja gemeinsam mit den Franken die Langobarden besiegt hatte. Dass der Fundort ganz in der Nähe der Römerstraße liegt die in der Folge über Ampass und Häusern nach Vomp führte könnte ein Indiz sein. Vielleicht hatten sich ihm widerwärtige Breonen in den Weg gestellt und es nötig gemacht, den Schatz hastig zu vergraben.

WURDE DER UNTERHÄNDLER IM STREIT ERSCHLAGEN?

Dass das Gold damals nicht wieder ausgegraben worden war lässt in allen Fällen auf Unstimmigkeiten schließen. Unter Umständen haben die Breonen den Unterhändler kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht. Wenn sie gefangene Langobarden verschleppt hatten machten sie auf alle Fälle ihren Reibach. Solche Gefangene konnten sie gewinnbringend verwerten und als Sklaven verkaufen. Was jedoch genau geschah, werden wir wohl nie genau ergründen.

Wie auch immer. Dass die Münzen des größten Goldschatzes in Tiroler Besitz und im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ausgestellt werden können verdanken wir einem Raub-Sondengänger und mehr noch einem Universitätsprofessor, der geistesgegenwärtig handelte.

Es lohnt sich jedenfalls, den Goldschatz in der Abteilung Archäologie im Landesmuseum Ferdinandeum selbst zu begutachten.

MEIN LESETIPP:

W. Hahn und A. Luegmeyer: Der langobardenzeitliche Münzschatzfund von Aldrans in Tirol. Veröffentlichungen des Instituts für Numismatik der Universität Wien. Verlag Fassbaender Wien. Druck: E. Becvar, Wien. ISBN 3-900538-26-3

Metrologie des römischen Pfundes an der Evidenz des Langobardenzeitlihen Schatzfundes von Aldrans

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