Wer heute unter dem Goldenen Dachl steht, wird erinnert an die Zeit Maximilians, als hier höfische Turniere gefeiert wurden. Seit einigen Jahren erinnert eine Gedenktafel an die Verbrennung von Jakob Hutter 1536, dem Gründer der Täufer-Gemeinschaft der Hutterer. Nichts jedoch erinnert daran, dass hier 1485/86 der erste Hexenprozess in Österreich stattfand. In der Ausstellung „Hexen“ im Taxispalais Kunsthalle Tirol geht zeitgenössische Kunst dem Thema Hexen nach.

VERHEERENDES MACHWERK

50 Personen hatte der Dominikanermönch Heinrich Kramer der Hexerei angeklagt. Den Tirolern war das Treiben des fanatischen Inquisitors (noch) nicht geheuer. Die Obrigkeit verwies ihn des Landes, noch bevor es zu einer Verurteilung der Angeklagten kam.
In Folge schrieb Kramer den „Hexenhammer“, einen Leitfaden, um Hexen aufzuspüren, zu enttarnen, zu „befragen“ – sprich: zu foltern – und zu verurteilen. Der Hexenhammer geriet zum Bestseller. Das verheerende Machwerk sollte tausende Menschen, vor allem Frauen, das Leben kosten – auch in Tirol.

HEXEN IM TAXISPALAIS KUNSTHALLE TIROL

Wenn man heute vor dem Goldenen Dachl steht, kann man sich natürlich fragen: Sind Hexen noch ein Thema in unserer westlichen Welt? Wenige Gehminuten entfernt geht im Taxis Palais Kunsthalle Tirol die Ausstellung „Hexen“ dieser Frage nach – und findet Antworten.
Nina Tabassomi versammelt eine Handvoll einprägsamer zeitgenössischer Arbeiten, die sich mit Facetten dieses Themas auseinandersetzen. „Hexen gibt es nicht. Sie sind eine soziale Konstruktion“, so die Leiterin der Kunsthalle und Kuratorin der Ausstellung. Die historische Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert geht einher mit dem Siegeszug des Kapitalismus und ist mit diesem verwoben.

Enteignung von Grund und Boden, Ausbeutung der Arbeitskraft, deren Reproduktion sichergestellt werden sollte, begleiteten die Einführung und die Entwicklung des Kapitalismus. Um das System durchzusetzen, brauchte es neue Waffen der Kontrolle. Wenn es um Hexen geht, geht es daher immer auch um die Frage von Macht und Herrschaft, geht es um Stigmatisierung, Unterdrückung und systematische Gewalt. Und allein schon mit diesen Wörtern ist das Thema in die Gegenwart katapultiert.

EZECHIELS TRAUM

Die katholische Kirche spielte eine überaus unrühmliche, weil tragende Rolle in der Hexenverfolgung. Die gebürtige Iranerin Neda Saeedi befasst sich in der Installation „Ezekiel dreams beyond repair“ mit Ezechiels alttestamentarischer Heilsvision. Den Thron, von dem Ezechiel träumt, überträgt sie in die Jetztzeit. Bei Saeedi handelt es sich nicht mehr um den göttlichen Thron, der den Monotheismus versinnbildlicht. Der blaue Stuhl ist einer aus dem EU-Parlament in Straßburg.

Getragen wird das Symbol politischer Macht von vier Pflanzennachbildungen. In der freien Natur längst ausgestorben, leben diese Gewächse nur noch von Menschen Hand. Daher wurzeln sie auch nicht mehr, sondern stecken in Bürstenköpfen von Hochdruck-Flächenreinigern. Die düstere Atmosphäre, die diese Installation umgibt, wird noch verstärkt durch eine grüne Sonne im Hintergrund. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich diese als Spiegelung. Sie verschwindet, bis auf einen Streifen Grün, in einem schwarzen Loch.

KUNST, DIE FORDERT

Starke Gefühle lösen auch die anderen Arbeiten in der Ausstellung Hexen aus. Etwa die von Esther Strauß. Die Künstlerin befasst sich mit Ritualen und Reliquien, mit dem Tod und der Verbundenheit mit unseren Ahnen – und den Möglichkeiten der Empathie und der Nähe über die Konventionen hinaus. So steht die Künstlerin in der 2015 entstandenen Arbeit „Opa“ nackt in der Erde, die sie aus dem Grab ihres Großvaters gehoben hat oder wiegt in „Wiegenlieder“ den Totenschädel eines ihr unbekannten Menschen. Aufrüttelnd auch die 16-minütige, nicht jugendfreie Videoinstallation von Pauline Curnier Jardin mit dem Titel „Qu’un sang impur“, in der es um weibliche Lust jenseits der Reproduktion geht.

HEXENKÜCHE MÜHLAUER KLAMM

Die Installation „Hexenküche (the witch rarely appears in the history oft the proletariat)“ von Angela Anderson und Ana Hoffner ex-Prvulovic* im Untergeschoß entstand im Auftrag von Taxispalais Kunsthalle Tirol. Ausgehend von Zitaten aus dem Hexenhammer geht die Arbeit der Frage nach, wo in Tirol „die ökonomischen und ideologischen Infrastrukturen der historischen Hexenjagd nachhallen“, wie Tabassomi festhält.

Der Kurztitel bezieht sich dabei auf die Sage der Hexenküche in der Mühlauer Klamm oberhalb des Innsbrucker Stadtteils Mühlau. Die Künstlerinnen verweisen auf die oft schlecht bezahlten und ausgebeuteten Erntehelfer, die auf den Feldern Gemüse einholen. Anhand von Fotografien und Plakaten erinnern sie an die ersten feministischen Demonstrationen in Innsbruck und die Aneignung der Figur der Hexe in diesem Kontext. Spannend auch die Erinnerungen und Erzählungen von Zeitzeuginnen in der 42-minütigen Videoinstallation.

ART WALK

Insgesamt eine bewegende, emotional fesselnde Ausstellung, die zeigt: Das Thema Hexen ist keineswegs abgehakt. Im Gegenteil: Die mit ihr verbundene Geschichte von Macht und Ohnmacht, von Unterdrückung und Ausbeutung ist brandaktuell.

Die Ausstellung „Hexen“ besucht habe ich im Rahmen eines Art Walks, der ins Taxispalais Kunsthalle Tirol, in den Kunstraum Innsbruck und zur Tiroler Künstler:innenschaft führt. Das 2020 ins Leben gerufene Format macht Gusto auf zeitgenössische Kunst (hier habe ich darüber geschrieben). Es gibt weitere Termine im Herbst (siehe unten).

Hexen
Noch bis 3. Oktober 2021 in
Taxispalais Kunsthalle Tirol
Maria-Theresien-Straße 45
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten Ausstellung und Bibliothek: Di–So, 11:00–18:00 Uhr, Do 11:00–20:00 Uhr
Eintrittspreise: 4 €/ 2 € (Gruppen ab 10 Pers. 3€/Pers) , sonntags Eintritt frei, Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre Eintritt frei
Tel.: +43 512 505 3171
Mail: taxispalais@tirol.gv.at
www.taxispalais.art

Infos zum ART Walk
Guide: Alexandra Mairhofer
Dauer: 2 Stunden
Ticketpreis: 15 €/Person (freier Eintritt in den Ausstellungshäusern)
Termine 2021: 24.09., 12.11., 17.12.2021
Treffpunkt jeweils um 15:30 Uhr Tourismusinformation Innsbruck, Burggraben 3
Anmeldung erforderlich bis 16:00 Uhr am Vortag der Tour unter taxispalais@tirol.gv.at oder Tel. +43 512 5083171
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt.

Einen Überblick über die Kulturveranstaltungen in Innsbruck und Umgebung bietet www.innsbruck.info

Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Susanne Gurschler

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