Tiroler Dörfer führen nicht selten ein Dornröschen-Dasein. Modern ausgedrückt: sie sind im Bedeutsamkeits-Ranking im Lauf der Jahrhunderte weit nach hinten gerutscht. Und das, obwohl immer noch Etliches auf eine glanzvolle Vergangenheit hindeutet. Ich habe einen Ort besucht, der versucht, die Patina von seiner Geschichte abzukratzen und die schillernde Vergangenheit wieder aufzupolieren: Es ist die Gemeinde Flaurling.

Viele einst bedeutsame Ansiedlungen in Tirol sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Das hat auch mit stark veränderten Hauptverkehrsadern zu tun. Flaurling ist ein gutes Beispiel dafür. Als auf der Tiroler Salzstraße im Mittelalter das „weiße Gold“ aus Hall noch durch den Ort gekarrt werden musste, spülte der Wegezoll viel Geld in die Kassen. Die Geldquelle versiegte, als der Wert des Salzes abnahm. Zu allem Überfluss wurde dann noch die Verbindungsstraße von Telfs nach Zirl auf der rechten Innseite ausgebaut. Flaurling befand sich urplötzlich im Abseits.

Ein legendäres Gasthaus an der Salzstraße

Als ich vor einigen Jahren den Tiroler Jakobsweg als Pilger erforschte war ich von der Silhouette des Ortes überrascht. Es ist nicht nur das Schlösschen, das wie auf einem Thron sitzend Flaurling überragt. Ich stand urplötzlich vor einem Gebäude, das einst eine wichtige Rolle gespielt haben musste: das Gasthaus zum „Goldenen Adler“ in Flaurling. Denn die Außenfresken berichten von einer Zeit, in denen das Dörfchen reich war. Farbenprächtig aber mysteriös bleiben für mich allerdings die bemalten Balken, die das Dach auf der Stirnseite stützen. Jedenfalls ein Haus, das zu den historischen Gasthäusern unseres Landes zu zählen ist.

Sehenswert ist auch die Kirche zur Heiligen Margaretha, die sicher zu den schönsten Barockkirchen Tirols zählt. Und von dort aus ist’s nicht mehr weit zum zinnenbewehrten Ris-Schlössl, dem Wahrzeichen der Gemeinde.

St. Margaretha, Flaurling. Der linke Bereich der Kirche war die ursprünglich gotische Kirche, die in der Barockzeit wesentlich vergrößert wurde.

Flaurling, ein Dorf mit großer Vergangenheit

Wie kommt ein kleiner Ort zu so einem ansehnlichen Schloss habe ich mich gefragt. Die Antwort ist relativ einfach. Es war die Verkettung glücklicher Umstände, die dem Ort dieses Wahrzeichen bescherten. Flaurling und sein Schlössl waren am Ausgang des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts ein Treffpunkt von Gelehrten und Humanisten. Was schließlich auch Kaiser Maximilian animierte, dem Schlösschen des öfteren Besuche abzustatten. Um dort sogar seinen Regierungsgeschäften nachzugehen, Depeschen schreiben ließ und Briefe zu verfassen. Er ließ bisweilen sogar die türkischen Gesandten in Flaurling antanzen. Und ja: er schätzte selbstredend die außergewöhnlichen Jagdgründe in den Tälern südlich von Flaurling.

Diese mittelalterliche Anziehungskraft Flaurlings ist mit einem einzigen Namen verbunden: Sigmund Ris

Das Wahrzeichen Flaurlings, das Ris-Schlössl. Im linken Bildbereich befindet sich der ‚Ansitz Risenegg‘, in der Mitte der Bibliotheksturm.

Ris Schlössl Flaurling

Das Ris-Schlössl in Flaurling, Westseite. Links im Bild die Ris-Kapelle mit den Spitzbogenfenstern. Rechts das Kaplanhaus.

 

Ein Schürzenjäger mit schlechtem Gewissen?

Es war Sigmund der Münzreiche, der ein bereits bestehendes Jagdschlösschen in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts umbauen ließ. Er schenkte das sanierte Gemäuer jedoch weiter. An seinen Hofkaplan und Beichtvater Sigmund Ris. Weshalb, fragte ich mich. Ich nehme stark an, dass Sigmund, ein landesweit sattsam bekannter Schürzenjäger mit mehr als 50 unehelichen Kindern, krampfhaft danach trachtete, den Himmel durch gute Taten noch zu Lebzeiten gnädig zu stimmen. Da konnte eine Schenkung an einen Geistlichen überaus hilfreich sein.

Lebendige Dorfchronik

Kurz nachdem Sigmund der Münzreiche dem gelehrten Pfarrer Sigmund Ris das Schlösschen überließ, erweiterte der es um den Bibliotheksturm, eine Kapelle und den Ansitz Risenegg. Im Volksmund war schon bald von der „Pfarrherrnburg“ die Rede.

Bis heute erhalten ist die einstige Bibliothek des Gelehrten. „Die Bücher-Sammlung umfasste 12 Handschriften und 137 Druckwerke“, erzählt mir die Chronistin von Flaurling, Andrea Raggl-Weissenbach, als wir gemeinsam das Schlösschen erkunden. 45 Bände (acht Handschriften und 37 Druckwerke) werden seit 1937 aus konservatorischen Gründen als Depot in der ULB Tirol verwahrt. Der Rest befindet sich mit dem Pfarrarchiv in einem gesicherten Raum des Pfarrhofes in Flaurling. Wie ich überhaupt zu meiner Freude feststellen kann, dass Flaurling seiner Geschichte viel Bedeutung beimisst. Andrea betreibt im Rahmen der „Chronikwerkstatt Flaurling“ eine überaus informative Website, an der sich viele andere Tiroler Gemeinden ein Beispiel nehmen könnten. Geschichte wird leicht und lesbar aufbereitet und präsentiert. Respekt!

Per Stiftungsurkunde fixiert: Predigt muss eine volle Stunde dauern!

Das ‚Ris-Schlössl‘ dominiert die Silhouette der Gemeinde Flaurling und verleiht dem Ort noch immer ein edles Flair. Besonders interessant und sehenswert ist die Schlosskapelle mit ihrem gotischen Flügelaltar. Ihn gab Sigmund Ris in Auftrag. Im Mittelteil des Kunstwerkes ist auch Kaiser Maximilian (der damals noch König gewesen ist) abgebildet. Rechts neben dem Kaiser ‚thront‘  Sigmund Ris mit einem roten Turban, sein Bruder Christoph Ris (ein reicher Kaufmann, nach dem die Riesengasse in Innsbruck benannt wurde, die eigentlich Risgasse heißen müsste) neben ihm. 

Der gotische Ris-Altar in Flaurling, umgeben von Wandmalereien im Nazarener-Stil des 19. Jahrhunderts.

Kaiser Maximilian mit seinem Sohn Philipp auf dem Ris-Altar in Flaurling (links oben im weißen Gewand). Rechts mit einer Art rotem Turban ließ sich Sigmund Ris darstellen. Daneben sein Bruder Christoph Ris, nach dem die Ri(e)sengasse in Innsbruck benannt ist.

Dass die Bekanntheit des von einem Südtiroler Geschlecht abstammenden Geistlichen Sigmund Ris heute noch ungebrochen anhält, hat auch mit einer von ihm eingerichteten Stiftung zu tun. Die  Stiftung erhielt einen eigenen Kaplan. Der hatte alle Sonntage in der Kirche zu Flaurling und an 16 Feiertagen in den Kirchen Pfaffenhofen und Hatting die Messe zu lesen und eine einstündige Predigt auf der Kanzel zu halten. EINE STUNDE! Außerdem hatte der Kaplan einen ewigen Jahrtag für die Familie Ris zu halten. Ein Hinweis darauf, dass sich auch der hochgelehrte Theologe vor den Qualen des Fegefeuers fürchtete?

Märchenhafter Innenhof

Der Innenhof des Ris-Schlössl wirkt auf Besucher märchenhaft. Scheinbar der Zeit entrückt mit Blumen- und Gewürzbeeten und einem barocken Stufengarten. Jakobspilger, die auf ihrem Weg in Richtung Santiago de Compostela hier Rast machen, schätzen den Brunnen jedenfalls genauso wie die Ruhe.

Ein Schlösschen, das der Zeit entrückt ist und einen Besuch lohnt.

LINKTIPP:

Auf der Website der Chronikwerkstatt Flaurling gibt es mehr Informationen zu Flaurling und dem mittelalterlichen Juwel des Ris-Schlössls: https://www.chronik-flaurling.at/historie/ris.php

Alle Bilder: ©Werner Kräutler

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