Mit dem „Hl. Hieronymus“ besitzt das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ein herausragendes Werk von Lucas Cranach d. Ä. Um dieses Kunstwerk kreist die Sonderausstellung „Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“.

Rund um das Gemälde des Hl. Hieronymus gruppieren sich die Tierexponate.

Lucas Cranach der Ältere (1472–1553), geboren in Kronach in Franken, später Hofmaler in Wittenberg, zählt zu den wichtigsten Malern seiner Zeit. Mit Innsbruck ist der Künstler auf besondere Weise verbunden: Sein Gnadenbild Mariahilf, das sich im Hochaltar des Innsbrucker Doms befindet, ziert als Kopie unzählige Häuserfassaden der Stadt.

Mit dem „Hl. Hieronymus“ besitzt das Ferdinandeum zudem ein Meisterwerk dieses großen Künstlers. Es dürfte um 1525 als letztes aus dieser Motivreihe entstanden sein. Rund um das Gemälde haben Agnes Thum und Helena Pereña eine kleine, aber einprägsame Ausstellung gewoben: „Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“ (bis 7 Oktober 2018 im Ferdinandeum zu sehen) beschäftigt sich mit dem Landschaftsmaler Cranach – im Spannungsfeld zwischen Religion und Naturwissenschaft, zwischen Natursymbolik und Realismus.

Cranachs „Hl. Hieronymus“ lädt zu einer genauen Betrachtung der Fauna und Flora ein.

Üppig ausstaffierte Naturlandschaft

Der Heilige Hieronymus, der sich als Büßer in die Einöde zurückzieht, zählte zu den beliebtesten Motiven jener Zeit. In Cranachs Werkstatt entstanden zahlreiche Bilder des katholischen Kirchenvaters, zwischen 1515 und 1520 sogar serienmäßig. In der Sonderschau finden sich die Einzeldarstellungen von Hieronymus, darunter die erste aus dem Jahre 1502, eine Leihgabe des Kunsthistorischen Museums Wien. Das Bemerkenswerte ist: Der Hl. Hieronymus zieht sich bei Cranach nicht – wie die Legende es vorgibt – in die Wüste zurück, sondern in eine wuchernde und wuselnde Landschaft. Der auf dem Innsbrucker Hieronymus-Gemälde abgebildeten Fauna und Flora widmen die Kuratorinnen den ersten Teil der Ausstellung.

Der Heilige befindet sich in einem üppig ausstaffierten Naturraum mit realistischen Abbildungen von Tieren und Pflanzen, aber auch Fabelwesen tummeln sich darin. In diesem Werk vereinen sich die Vorstellungen des Mittelalters, in dem jedem Tier, jeder Pflanze eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben wurde, mit den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die zur Zeit Cranachs erlangt wurden.

Die Szenografin Juliette Israël setzt die Objekte sensibel in Beziehung zum Gemälde.

Der Hl. Hieronymus als Wimmelbild

Das Gemälde erweist sich als eine Art Wimmelbild. Flankiert von zahlreichen Tierpräparaten, lädt es dazu ein, die Entsprechung zwischen bildlicher Darstellung und Exponat zu suchen. Verschiedene Vögel sind auszumachen, Schmetterlinge und zahlreiche andere Tiere. Im Bildvordergrund natürlich der Löwe, treuer Begleiter, seit ihm der Heilige einen Dorn aus der Pranke gezogen hat. Spaß macht zudem, die beiden Fabelwesen zu suchen, die sich trotz aller Realistik auf Cranachs Bild finden.

Wo ist das Rotkehlchen auf Cranachs Bild zu finden?

Faszinierend die Pflanzendarstellungen, die den Blick auf ausgewählte naturwissenschaftliche Bücher aus jener Zeit lenken, die in einer Vitrine präsentiert werden. Unter den systematischen Darstellungen der damals bekannten Flora das berühmte Herbarium des in Hall lebenden Universalgelehrten Hippolyt Guarinoni (1571-1654).

Wo flattert der Heufalter auf dem Gemälde?

Die Wissenschaft von der Natur

Mit diesem Gemälde tauchen wir also in die Anfangszeit der modernen Naturwissenschaften ein. Einerseits. Denn andererseits ist die symbolische Sichtweise der Natur, der Schöpfungsgedanke, noch stark in jener Zeit und natürlich auch in Cranach verankert. Jedes Element der Natur hat eine Entsprechung im Übersinnlichen, so die Vorstellung. Beispielhaft steht dafür das Schwazer Bergbuch, das mit anderen Objekten die mittelalterliche Sicht auf die Natur wiedergibt. Die Überlappungen zwischen Religion und Naturwissenschaft, Mittelalter und Renaissance werden in der Ausstellung „Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“ unmittelbar nachvollziehbar.

Der Spiegel vergrößert den Ausstellungsraum und nimmt die Spiegelung des Wassers auf Cranachs Gemälde auf.

Raus aus der Wüste

Über zwei Treppen geht es in den zweiten Teil der Ausstellung, die sich unter anderem der Frage widmet, warum Cranach den Hl. Hieronymus nicht in der Wüste darstellte, wie es die Legende eigentlich fordert, sondern in einer üppigen Wildnis. Zumal zu Cranachs Zeiten bereits realistische Beschreibungen und Darstellungen von Wüstenlandschaften kursierten. Und er davon offensichtlich Kenntnis hatte: So findet sich auf seinem um 1530 entstandenen Gemälde „David in der Wüste“ ziemlich naturgetreu eine Felswüste.
Des Rätsels Lösung: Cranach war nicht an einer realistischen Wiedergabe interessiert, es ging ihm um die „Message“. Die alttestamentarischen Krieger verwandelt er kurzerhand in Ritter des 16. Jahrhunderts und holt das Geschehen damit in seine Zeit, gibt im – nachdrücklich – Aktualität.

Cranachs „David in der Wüste“ ist eines der zentralen Bilder im zweiten Teil der Ausstellung.

Eine germanische Wildnis

Anhand von weiteren Exponaten und Bildern zeigt die Ausstellung, dass Cranach und die deutschen Humanisten sich ganz bewusst vom italienischen Humanismus abgrenzen wollten. Dafür schufen sie eine eigene Antike – samt wilder, ungestümer Naturlandschaft. Immerhin hatte sich schon der römische Gelehrte und Historiker Tacitus (um 58-120 n. Chr.) in seinem Buch „Germania“, in dem er Kultur und Geografie der Germanen beschrieb, den „Barbaren“ nördlich der Alpen überlegen gefühlt.

In der Gegenüberstellung rücken die Details der dargestellen Naturlandschaften in den Fokus.

Die deutschen Humanisten griffen dessen Landschaftsbeschreibungen nun auf und entwickelten daraus ein antikes Gegenbild. Der Wald, in den Cranach Hieronymus setzt, ist also ein wilder germanischer und wohl mit dafür verantwortlich, dass diese Darstellung damals so populär wurde.

Blick in den zweiten Teil der Ausstellung „Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“

Kein Ende in Sicht

„Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“ schafft es, den Betrachter in die Gedanken- und Bilderwelt der Zeit Cranachs hineinzuziehen. Die Ausstellung lässt das Spannungsfeld spüren, in dem sich Gelehrte und Künstler damals zwischen dem Glauben und einer modernen Naturwissenschaft befanden. Der Konflikt, der zu jener Zeit virulent wurde, ist keineswegs überwunden. So erfreut sich etwa der Kreationismus, die Auffassung, das gesamte Universum sei Gottes Werk, vor allem in den USA großer Beliebtheit und steht in schroffem Gegensatz zur Evolutionstheorie.

Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Susanne Gurschler

Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Rahmen- und Begleitprogramm sowie ein Katalogbuch mit wissenschaftlichen Beiträgen.

 

„Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis“
Ausstellung bis 7. Oktober 2018
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
Museumstraße 15
6020 Innsbruck

Öffnungszeiten:
DI–SO 9–17 Uhr
Kontakt:
Tel +43 512 59489-180; für Gruppenführungen: +43 512 59489-111
info@tiroler-landesmuseen.at
www.tiroler-landesmuseen.at

Eintrittspreise:
Kombiticket für alle Häuser der TLM: 11 €, ermäßigt 8 €, Führungsbeitrag 2 €
Freier Eintritt für Kinder/Jugendliche unter 19 Jahren, Schulklassen, Museumsvereinsmitglieder, mit Innsbruck-Card, Kulturpass Tirol und Freizeitticket Tirol
Ermäßigter Eintritt für StudentInnen unter 27 Jahre, SeniorInnen, Gruppen ab 10 Pers., mit Ö1-Club-Card, ÖBB-Vorteilscard, ÖAMTC-Clubkarte

Eine Liste der Museen, Ausstellungshäuser und Galerien in Innsbruck gibt’s hier.

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