Kultur ist nicht etwas Abgeschlossenes, in sich und aus sich heraus Existierendes, sondern Ergebnis von Austausch mit anderen Kulturen – die Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“ geht den Wurzeln der Tiroler Kultur auf den Grund.

Völker und ihre angeblichen Eigenschaften auf einer Völkertafel aus dem 18. Jahrhundert. Foto: © Susanne Gurschler

Völker und ihre angeblichen Eigenschaften auf einer Völkertafel aus dem 18. Jahrhundert. Foto: © Susanne Gurschler

Tirol als Transitland als Tourismusland immer mit dem Fremden konfrontiert – das bereichert die Kultur, hält sie lebendig, fordert sie aber auch. Wie zentral, ja wie fruchtbar und nachhaltig der Austausch mit anderen immer schon war – und nach wie vor ist, das zeigt die Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“, die bis 6. November 2016 im Tiroler Volkskunstmuseum läuft.

Stereotype prägten und prägen unsere Vorstellungen von anderen Kulturen. Foto. © TLM/Wolfgang Lackner

Stereotype prägten und prägen unsere Vorstellungen von anderen Kulturen. Foto. © TLM/Wolfgang Lackner

Alles fremd – alles Tirol!

Ausgangspunkt der Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“ im Volkskunstmuseum ist die Steirische Völkertafel, auf der die Völker mit unterschiedlichen Zuschreibungen versehen werden – mit zum Teil heute noch verbreiteten Vorurteilen. So ist der Spanier dieser aus dem 18. Jahrhundert stammenden Tafel gemäß hochmütig, der Deutsche offenherzig und der Moskowiter boshaft, vertreibt sich der Spanier die Zeit mit Spielen, der Deutsche mit Trinken und der Moskowiter mit Schlafen.
Je weiter es Richtung Balkan geht, desto negativer das Bild, das auf der Völkertafel gezeichnet wird: Türken und Griechen tragen Kleidung nach „Weiberart“, sie sind faul und ihre größte Untugend, sie sind noch verräterischer als der Moskowiter. Es lebe das Vorurteil, sozusagen!

Ja, wer ist nun wer? – Lustiges Ratespiel mit offenem Ausgang. Foto: © Susanne Gurschler

Ja, wer ist nun wer? – Lustiges Ratespiel mit offenem Ausgang. Foto: © Susanne Gurschler

So sind sie, die Tiroler!

Auch was als typisch Tirolerisch empfunden und propagiert wird, ist nicht selten ein Stereotyp, ein Klischee.
So zeigt etwa ein 1744 erschienener Roman die Tiroler als grob, hässlich, die Tirolerinnen als lüstern und leicht zu haben. Dieses Bild wandelte sich mit Aufkommen der Wanderhändler, die aus dem Defereggental und Imst in die weite Welt zogen und von dort auch viel in ihre Heimat trugen, und der „Nationalsänger“, die zu ausgiebigen Tourneen aufbrachen und bis nach Amerika kamen. Sie besangen die Bergidylle, die saftigen Wiesen, die kernigen Burschen, das Leben auf der Alm – ein verklärtes Bild alpinen Lebensstils, das sich zum Teil bis heute hält.

Alles fremd – alles Tirol? Viele Gegenstände der (Alltags-)Kultur verdankt Tirol fremden Ländern. Foto: © TLM/Wolfgang Lackner

Alles fremd – alles Tirol? Viele Gegenstände der (Alltags-)Kultur verdankt Tirol fremden Ländern. Foto: © TLM/Wolfgang Lackner

Tirolerisches von anderswo!

Dabei ist vieles im „echt Tirolischen“ Ergebnis des Zusammentreffens mit anderen Kulturen, der Übernahme von Fremdem und Adaptierung fürs Eigene. So ist zum Beispiel der Blaudruck mitnichten eine alpine Erfindung. Die Färbetechnik gelangte Mitte des 16. Jahrhunderts von Indien nach Europa, wo Blaufärbereien entstanden, in Tirol unter anderem in Imst, Brixen oder im Pustertal. Die gerade bei Sonntagstrachten gern eingesetzten Federn, Schildpatt oder Perlen kamen aus fernen Ländern. Und die Tiroler Küche wäre ohne importierte Gewürze wie Muskatnuss und Pfeffer oder Südfrüchte wie Zitronen und Pomeranzen weder gschmackig noch abwechslungsreich.
„Alles fremd – alles Tirol“ geht diesen vielseitigen Einflüssen nach, ebenso den Stereotypen, die sich tief in unser Bewusstsein gegraben haben. Eine kleine feine Ausstellung, die zum Nachdenken anregt über die Schubladen im Kopf.

Postkarten gestaltet vom WortKünstler Wilfried Schatz zum Mitnehmen. Foto: © Susanne Gurschler

Postkarten gestaltet vom WortKünstler Wilfried Schatz zum Mitnehmen. Foto: © Susanne Gurschler

Lade auf, Lade zu!

Die Ausstellungsarchitektur spiegelt mit Schublade auf, Schublade zu, Kastl auf, Kastl zu das Bedürfnis des Menschen nach Einteilung, nach Sortierung und Zuordnung und lädt immer wieder ein, seine eigenen Denkmuster spielerisch auf die Probe zu stellen: Wie sehe ich mich, dich, die anderen? Wer weiß, welche Tracht das ist? Wann kamen die Jeans nach Europä Und das durchgängige Weiß der Ausstellungsmöbel wirkt nur anfangs kühl und distanziert: Es lässt die ausgestellten Objekte umso klarer in den Vordergrund und ins Bewusstsein treten.
Eine toll gemachte Ausstellung, bei der ich eine Führung sehr empfehlen würde. Denn die knappen Ausstellungstexte geben nur erste Anstöße und sollten stets im Kontext des Ausstellungsthemas reflektiert werden. Vertiefend befasst sich das umfangreiche Katalogbuch mit der Thematik. Das Rahmenprogramm bietet Kuratorenführungen, Workshops und andere Feinheiten.

Mit Eigenschaften spielen – Wie bin ich? Wie bist dü Wie die anderen? Foto: © Susanne Gurschler

Mit Eigenschaften spielen – Wie bin ich? Wie bist dü Wie die anderen? Foto: © Susanne Gurschler

Die Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“ läuft bis 6. November 2016
Konzept und Umsetzung: Karl C. Berger und Anna Horner
Ausstellungsteam: Karl C. Berger, Anna Horner, Helena Perena, Roland Sila, Katharina Walter sowie Christina Hollomey-Gasser und Gerhard Hetfleisch (ZeMiT)
Ausstellungsarchitektur: Celia Di Pauli und Eric Sidoroff (SID Architekten)

Weitere Infos unter www.tiroler-landesmuseen.at oder Innsbruck Info

Tiroler Volkskunstmuseum
Universitätsstraße 2
6020 Innsbruck
Infos zu Gruppenführungen: Tel. +43-512-59489-111 oder info@tiroler-landesmuseen.at
Öffnungszeiten: täglich 9.00 bis 17.00 Uhr

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