Friedhöfe sind Orte der Trauer, des Abschieds und der Erinnerung. Aber sie sind auch Orte der Ruhe, der Kontemplation. Zwischen den Gräbern spazieren, auf einer Bank Platz nehmen – ich tue das immer wieder gerne. Friedhöfe, Gräber erzählen uns viel, wenn wir aufmerksam sind. Einige Gräber sind so besonders, dass man sie nicht vergisst. So ein Grab ist das von Anna Maria Achenrainer.

BÜCHER AM GRAB

Darauf gestoßen bin ich bei meinen Recherchen für das Buch „111 Orte in Innsbruck, die man gesehen haben muss“. Eine Freundin erzählte mir von einem ganz speziellen Grab am Neuen Friedhof in Mühlau. Nein, die Rede ist nicht von Georg Trakl! Auf seinen Spuren wandere ich zwar des Öfteren. Aber in diesem Fall geht es nicht um den berühmten Lyriker, sondern um die mittlerweile vergessene Schriftstellerin Anna Maria Achenrainer (1909-1972). Sie nahm ihre Bücher im wahrsten Sinne des Wortes mit an ihr Grab

ANNA MARIA ACHENRAINER

Richtig gelesen: nicht ins, sondern ans Grab. Anstelle eines schmiedeeisernen Kreuzes treten nämlich die Titel ihrer Bücher. Geboren 1909 in Pfunds im Oberinntal, durchlebte Achenrainer eine schwierige Kindheit. Nach dem Tod ihres Vaters, der im Ersten Weltkrieg gefallen war, verbrachte das Mädchen mehrere Jahre in einem Waisenhaus in Scharnitz. Sie besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck und nahm eine Stelle bei der Post an.
Parallel begann Achenrainer, Erzählungen und Gedichte zu schreiben, von denen einige in Zeitungen wie dem Tiroler Volksboten oder dem Tiroler Anzeiger erschienen – und natürlich in Buchform.

EIN BEDEUTENDER GEWINN

Die Autorin beteiligte sich aktiv am kulturellen Leben in Innsbruck. Sie war Gründungsmitglied der Autorenvereinigung Turmbund und wirkte bei den 1950 gegründeten Österreichischen Jugendkulturwochen mit. Im gleichen Jahr erhielt sie für ihren Gedichtband „Appassionata“ den Anerkennungspreis im Rahmen des Österreichischen Staatspreises.

„Die Tiroler Dichterin Anna Maria Achenrainer endlich ist schon heute als Gesamterscheinung erfreulich über dem Durchschnitt, für die neue österreichische Lyrik ein bedeutender Gewinn”, stand in der Zeitschrift Die Furche über den Gedichtband zu lesen. Trotz ihrer Bekanntheit und öffentlicher Anerkennung – das Land Tirol ehrte Achenrainer 1970 mit dem Verdienstkreuz – ist die Schriftstellerin heute nahezu vergessen.

NATURMAGIE IN MODERNER ZEIT

Der Großteil ihres Nachlasses schlummert im Forschungsinstitut Brenner-Archiv, eine Leihgabe des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, das ebenfalls über einen Bestand verfügt. Wer in ihren Büchern blättert, stößt häufig auf eine Art Arkadien, auf ein verklärtes Bild bäuerlichen Lebens und auf eine Mystifizierung der Tiroler Kulturlandschaft.
Achenrainer bedient sich dabei gern der altgriechischen, altägyptischen und indischen Mythologie. Technik, Fortschritt, Moderne steht sie skeptisch gegenüber. Wohl einer der Gründe, warum kaum noch jemand zu Achenrainers Werken greift. Themen und Form waren schon nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zeitgemäß. Die Menschen dürstete nach Neuem, nach Aufbruch.

VERBUNDEN MIT DEM WERK

Aber egal, wie man die Gedichte, die Prosa Achenrainers beurteilt, ihr Grab ist einfach wunderbar – finde ich. Es zeugt von ihrer tiefen Liebe zur Literatur, von ihrer Verbundenheit mit dem eigenen Werk. Jedes Mal, wenn ich über den Neuen Friedhof in Mühlau streife, schaue ich bei ihr und ihren Büchern vorbei, zupfe Blätter vom Grabstein und wische Laub beiseite.
Zu finden ist die Grabstelle leicht, wenn man erst einmal weiß, wo sie liegt: Abschnitt B, südwestlich der Friedhofskapelle. Diese steht, wie die gesamte Anlage, unter Denkmalschutz. Errichtet wurde der Friedhof 1926 nach Plänen von Wilhelm Stigler. Der Architekt nahm im Zweiten Weltkrieg leider eine unrühmliche Rolle ein, indem er zum überzeugten Nationalsozialisten wurde.

Trotzdem ist er für einige sehr bemerkenswerte Bauten in Innsbruck verantwortlich, darunter die ehemalige „Auto-Garage“ an der Haller Straße, erbaut ebenfalls in den 1920er Jahren. Das Gebäude schräg vis-a-vis des Gasthauses Dollinger an der Auffahrt zu Mühlau wird heute von der Feuerwehr und der Wasserrettung genutzt.

IN BESTER GESELLSCHAFT

Auch der Neue Friedhof Mühlau ist wirklich beeindruckend. Idyllisch gelegen, mit alten schattenspendenden Bäumen versehen, ein lauschiger andachtsvoller Ort. Von hier hat man einen schönen Blick auf die Mühlauer Kirche und den alten Friedhof – immer einen Abstecher wert! –, auf das dörfliche Mühlau selbst und auf Innsbruck.

Anna Maria Achenrainer liegt hier in bester Gesellschaft. Keine drei Schritte neben ihr ruhen Ludwig von Ficker, der Gründer der Zeitschrift Der Brenner, und der berühmte Georg Trakl. In der Reihe vor ihr ist der Maler Wilfried Kirschl beerdigt.
Und wer mit offenen Augen herumflaniert, wird auf weitere für das Tiroler Kulturleben wichtige Namen stoßen – wie etwa den der Malerin Gerhild Diesner oder der Schriftsteller Carl Dallago und Josef Leitgeb.

Gerne verbinde ich einen Besuch am Mühlauer Friedhof übrigens mit einer Wanderung weiter zum Biotop Fuchsloch und über den Schillerweg sowie den Psenner-Steg zurück in die Stadt. Die Busverbindungen sind aber natürlich auch hervorragend (Linie A, 501, 503, Haltestelle Mühlenweg)!

Alle Foto: © Susanne Gurschler

TIPPS

Wer mehr über das literarische Innsbruck erfahren möchte, dem empfehle ich das Online-Lexikon Literaturtirol. Toll zudem „Innsbruck. Ein literarischer Stadtführer“ von Iris Kathan und Christiane Oberthanner, erschienen im Haymon Verlag. Und natürlich lege ich jedem meine „111 Orte in Innsbruck, die man gesehen haben muss“ (Emons Verlag) ans Herz. Neben einigen weiteren literarischen Schmankerln und friedhöflichen Besonderheiten gibt es darin und damit noch viele, viele andere wunderbare Orte in Innsbruck zu entdecken.

Alle Friedhöfe der Stadt Innsbruck sind hier aufgelistet. Wer eine bestimmte Grabstelle sucht, wird hier fündig. Zusätzliche Infos zu KirchenKlösternKapellen und anderen heiligen Orten bietet innsbruck.info

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