Über Jahrtausende hinweg sind die Botschaften der Steine heute noch präsent. Sie stammen meist aus einer Vergangenheit, die weder Schrift noch Zahlen kannte. Die Botschaften selbst sind lochartige Vertiefungen in Steinen mit der Form von ‚Schalen‘. In sehr selteneren Fällen sind die Schalen durch ‚Kanälchen‘ verbunden.
Dass ausgerechnet zwischen Sistrans und Igls und in Ellbögen zahlreiche Schalensteine zu finden sind, hat mehrere Gründe. Einer davon ist sicher die Beliebtheit dieser wunderbaren Gegend bereits zu Zeiten der Steinzeitjäger und der ersten Bauern. Das sprichwörtlich ‚göttliche‘ Bergpanorama tat vermutlich noch das Seine, diesen Flecken Erde zu veredeln.
Schalensteine sind Felszeichnungen
Es sind meist große Steinblöcke oder Felsplatten, „auf denen sich schalenartige meist halbkugelförmige Vertiefungen natürlichen oder künstlichen Ursprungs befinden“ – so definiert sie der Schweizer Schalenstein-Forscher Urs Schwegler. Die Schalen haben einen Durchmesser von einem bis zu vierzig Zentimeter und werden unter dem Oberbegriff ‚Felszeichnungen‘ subsummiert. Wie Schalensteine in Tirol ausschauen können, stelle ich in den drei folgenden Fotos vor.
Es sind also die halbkugelartigen Vertiefungen, die diesen eigenartigen Namen begründen. Zu finden sind sie großteils in Granitgestein. Das hat einen einfachen Grund: Schalen, die in Kalkstein abgetieft werden, verwittern über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Südlich von Innsbruck, im ‚Mittelgebirge‘, haben deshalb etliche der geheimnisumwitterten Granitsteine die Jahrtausende überlebt. Ich habe mich aufgemacht, die bekanntesten unter ihnen zu fotografieren und nachzudenken, wozu sie gedient haben könnten.
Wie findet man überhaupt Schalensteine?
Menschen haben schon immer einprägsame Landschaften geliebt. Deshalb kommt der Geo-Morphologie beim Suchen nach Schalensteinen große Bedeutung zu. Unter Geo-Morphologie verstehe ich auffällige Landschaftsformen, die schon vor Jahrtausenden Eindruck auf Menschen gemacht haben. Wie zum Beispiel Bergspitzen mit dem Aussehen eines regelmäßigen Dreiecks. Oder solitäre Hügelkuppen, von denen aus die Umgebung zu überblicken ist.
Von Innsbruck aus sind gleich zwei ‚Felspyramiden‘ zu erkennen, die den Menschen aller Kulturen auffallen: die Serlesspitze und die Viggarspitze. Beide machen heute noch Eindruck auf uns Menschen. Die Schalensteine im südlichen Innsbrucker Mittelgebirge sind allesamt auf Plätzen situiert, von denen man zumindest eine der Felspyramiden gut sehen kann: entweder die Viggarspitze oder die Serles.
Schalensteine in der Nähe von Seen und Mooren
Auffallende Geländeformen, vornehmlich in der Nähe eines Sees oder eines Moores, sind ebenfalls potentielle Fundplätze von Schalensteinen. Vor allem dann, wenn Steinplatten den Abschluss eines Hügels bilden. Hier gilt es lediglich, genau hinzuschauen. Normalerweise werden aufmerksam beobachtende Wandersleute geradewegs auf solche Steine zugehen. Denn meist sind sie schon von weitem sichtbar. Im Mittelgebirge gibt es Seen und einstige Moore. Also gute Voraussetzungen, hier Schalensteine zu finden. Vor allem auf dem Viller- und dem Lanser Kopf.
Auffallend ist, dass Schalensteine vor allem in Gebieten zu finden sind, die von vorchristlichen Religionen als ‚heilige Plätze’ betrachtet worden sind. Wie zum Beispiel die Umgebung des Goldbichl in Igls. Kultplätze wiederum sind immer mit Wasser verbunden und daher auch oft dort zu finden, wo Seen oder Moore liegen oder gelegen sind. Wasser war ein äußerst wichtiger, ja entscheidender Faktor vorchristlicher Religionen. Und wenn man genau hinschaut: Es ist auch für das Christentum bedeutungsvoll.
Schalensteine auf Almen und in einstigen Bergwerksgebieten
Rätselhaft ist der Umstand, dass in Tirol viele Schalensteine auf Almen gefunden werden. So auch in Innsbruck auf dem Issboden, hoch über Sistrans am nördlichen Abhang des Patscherkofels. Aber auch in Gebieten, in denen Erz abgebaut worden war, finden sich sehr oft Schalensteine.
Auch wenn die Almen heute verschwunden sind, die Schalensteine bleiben übrig. Wie zum Beispiel auf dem Weg zur Profeglalm oberhalb von Ellbögen. (Übrigens ein wunderbares Wanderziel!) Der Platz bei einer direkt am Weg liegenden Jagdhütte weist die vielleicht interessantesten Schalensteine in der Nähe von Innsbruck auf. Neben dem sogenannten ‚Engelsstein‘ ist es vor allem ein wahrlich b’schriebener Stein, in den sich offenbar Hirten eingetragen haben. Weshalb ausgerechnet dort? Das ist eine gute Frage, die ich – noch – nicht beantworten kann. Interessant ist aber die Tatsache, dass der alte Almweg in der Folge zum b’schriebenen Stein im Hinteren Viggartal führt.
Weshalb Menschen halbkugelige Vertiefungen in Steine gerieben haben, ist also das Rätsel, das es zu lösen gilt. Genau diese Frage bewegt die Schalenstein-Forschung seit Jahrzehnten. Verwirrend sind da auch die Bezeichnungen, die der Volksmund für sie gefunden hat: Opferstein, Heidenstein, Teufels-, Hexen- oder Zauberstein. Bei größeren Schalen wurde vermutet, dass sie zum Auffangen von Blut aus Tieropfern gedient haben könnten. Welchem Zweck dienten sie alsö
Schalensteine hatten meines Erachtens zum Großteil ganz profane Gründe. Einerseits könnten sie in Bergwerksgebieten zur Zerkleinerung von erzhaltigen Steinen gedient haben. Andere Autoren vermuten, sie könnten zum Aufbrechen von Nüssen verwendet worden sein. Für mich gibt es eine weitere, eher profane Deutung der Schalen. Besonders jener, die in der Umgebung vorchristlicher Kultplätze zu finden sind. Ich komme später darauf zurück.
Wann wurden Schalensteine ‚gebohrt‘?
Der älteste, archäologisch datierte Schalenstein ist mehr als 5.000 Jahre alt. Aber Schalensteine wurden in allen Epochen, vom Neolithikum bis in die Neuzeit bearbeitet. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Großteil der bekannten Schalensteine zwischen dem 4. und dem 1. Jahrtausend v. Chr. einzuordnen ist. Also vom Neolithikum – das ist die Periode, in der Menschen sesshaft geworden waren – bis in die Eisenzeit. Das Auftauchen von Kreuzen als Zeichen der Christianisierung deutet auf das Frühmittelalter und auch die Neuzeit.
Meine Theorie: Viele Schalen dienten zur Herstellung von Farben zur Körperbemalung
Bekannt ist ein Umstand, der Schalensteine auf Almen quasi erklären würde: Gesteinsmehl hat entzündungshemmende Wirkung. Es ist denkbar, dass also Verletzungen damit behandelt worden sind. Damit könnten also viele Schalensteine halbwegs erklärt werden, die auf Almen aufzufinden sind. Also auch jene, die sich am Hochleger im Viggartal oder auf dem Issboden oberhalb von Sistrans befinden.
Die Bedeutung der Schalensteine auf Hügeln und Kuppen des Mittelgebirges ist weitgehend unbekannt. Und dennoch versuche ich eine Interpretation: Ich gehe davon aus, dass im weiten Umkreis des über Jahrtausende hinweg als bedeutender Kultort benützten Igler Goldbichls viele der Schalensteine kultischen Zwecken gedient hatten. Aber nicht als Auffangbecken für Blut. Ich behaupte viel mehr, sie dienten als Mörser und ‚Kosemtik-Behälter‘.
Rötel – die Schminke der Vorzeit
Die Farbe Rot spielt seit dem Paläolithikum – der Altsteinzeit – eine wichtige Rolle in der Vorstellungswelt der prähistorischen Menschen. Der Farbohstoff Hämatit – Eisenoxyd – war in Verbindung mit Schwarz, Weiß und Ocker die Bildsprache zahlloser Kulturen und dominiert bis heute. Es war üblich, sich im Vorfeld von Zeremonien zu schminken.
Ich gehe davon aus, dass an exponierten Stellen des Innsbrucker Mittelgebirges Schalen angelegt worden sind, die als Rötel-Mörser gedient hatten. Um die Farbe aufzutragen, wurde der verriebene Rötel in einer solchen Schale mit Fett vermischt und dann mit Fingern auf dem Körper aufgetragen. Und so konnten sich die Teilnehmer an den Prozessionen und Kulten der Vorgeschichte quasi vor Ort auf die Zeremonien vorbereiten.
Was Schalensteine nicht sind: Kalendersteine
Mir war es schon immer suspekt wenn versucht wird, Schalensteine als astrologische Kalendersteine zu definieren. Bekanntlich kannten die Menschen des Neolithikums andere Methoden, Winter- und Sommersonnenwenden zu erkennen. Zum Beispiel mit Steinreihen, die heute noch funktionieren. Auch Steinkreise könnten zur Bestimmung von Winter- und Sommeranfang benützt worden sein. Der Vermutung, bei den Schalen könnte es sich um Talg-Lichter gehandelt haben, kann ich schon mehr abgewinnen. Ich bin jedoch mehr denn je davon überzeugt, dass Schalensteine zu einem Großteil der schnöden Absicht der damaligen Menschen diente, sich im Vorfeld ihrer Kulte zu schminken. In den Mörsern konnte genug ‚Schminke‘ bereit gestellt werden, damit sich die Kult-Teilnehmer damit schmücken konnten.
Fundplätze von Schalensteinen im südlichen Innsbrucker Mittelgebirge
Aldrans:
Der Kirchturm scheint auf einem einstigen Kultstein zu stehen. An der höchsten Stelle des Steins sind einige Schalen angebracht. Zudem ist ein künstlich angebrachtes ‚Kanälchen‘, quasi ein Abfluss quer durch die Vorderseite des Steines, gut zu erkennen. Ob das große Bohrloch, in dem meist ein ‚ewiges Licht‘ steht, auf prähistorische Kulte zurück geht, wage ich nicht zu behaupten.
Tantegert:
Den markantesten Schalenstein in der näheren Umgebung von Innsbruck findet man in unmittelbarer Nähe der Station an der Iglerbahn namens Tantegert. Übrigens wird das erste e des Wortes betont. Der Stein in Form einer Rundkuppe befindet sich über einem Moorgebiet und weist zahlreiche Schalen auf. Tantegert ist ganz einfach mit der Igler Bahn zu erreichen.
Sistrans:
Rund 800 Höhenmeter oberhalb der Gemeinde Sistrans ist auf dem sogenannten Issboden eine Schale in einem großen Steinblock zu erkennen. Der Issboden ist über die Sistranser Alm zu erreichen.
Eine mit Bäumen bestandene Kuppe nördlich des Ortes, in unmittelbarer Nähe des Auffangbeckens des Aldranser Baches und in der Nähe des Bienen-Lehrpfades beherbergt weitere Schalen.
Igls:
Der Schalenstein auf dem Goldbühel ist eigentlich ‚selbstverständlich‘. Er unterstützt meine Annahme, dass solche Schalen auch als Farbmörser und Kosmetik-Tigel gedient haben könnten. Meinen Wandertipp findet ihr HIER.
Lanser Köpfl:
Dieser Platz wurde von prähistorischen Menschen mit Sicherheit verehrt. Liegt er doch über einer Seenlandschaft mit Seerosensee und Lanser See. Zudem ist die pyramidenförmige Viggarspitze von hier aus wunderbar zu sehen. Mein Wandertipp: mit der Igler Bahn bis zum Bahnhof Igls und von dort auf Wanderwegen über Viller- und Lanser Kopf nach Tantegert. Von dort mit der Igler Bahn wieder zurück nach Innsbruck.
Ellbögen:
Auf dem Weg zur Profeglalm kommt man bei einer Jagdhütte vorbei, die rechts des Weges liegt. Hier besteht eine Ansammlung unterschiedlicher Felszeichnungen, wie oben dargestellt. Herausragend ist vor allem der Engelsstein und ein mit Buchstaben und Zeichnungen versehener Hirtenstein. Mein Wandertipp: Von Ellbögen über die Profeglalm zum Niederleger im Viggartal. Entweder zurück nach Ellbögen oder über Boscheben zur Bergstation der Patscherkofelbahn.
Ich möchte Herrn Thomas Walli-Kofler und Herrn Dieter Manhartsberger für die Teilnahme an den Begehungen genauso danken wie für die fruchtbaren Diskussionen um die Schalensteine im südlichen Innsbrucker Mittelgebirge.
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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