Seit Jahrzehnten fasziniert mich die ‚Märchenlandschaft‘ im Innsbrucker Mittelgebirge, besonders aber in der Gegend von Igls. Sanfte Hügel, der mysteriöse Lansersee, das absolut traumhafte Panorama mit Nordkette, der Patscherkofel, die Serles. Und nicht zu vergessen: der spektakuläre Blick ins Stubaital.
Die Menschen der Vorzeit hatten sich offensichtlich schon vor Jahrtausenden denselben ‚Geschmack‘. Vor 4000 Jahren begannen sie am heutigen Goldbichl, Kultfeuer zu entzünden und ihren Göttern zu opfern. Der legendäre Kultplatz wurde bis zum Einmarsch der Römer um 15 v. Chr. genutzt. Trotz aller neuer Erkenntnisse gibt der Platz heute noch Rätsel auf. Wie das Wort ‚Gold‘ zum Bichl kam ist allerdings kein Rätsel mehr.
Der Goldbichl, wie er sich von Süden gesehen präsentiert.
Lange hatten Archäologen vermutet, dass in der Nähe des Alpenhauptkammes kaum bedeutende, prähistorische Kultplätze zu finden seien. Zu wild und unwirtlich wäre das gewesen, meinten sie. Das hat sich seit dem Auffinden des Mannes im Eis – auch Ötzi genannt – völlig verändert. Dazu passen auch die Ausgrabungen am Goldbichl zwischen Igls und Patsch (Bichl=Bühel) in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Denn sie hatten ein geradezu sensationelles Ergebnis. Die heute bewaldete Kuppe war schon vor knapp 4000 Jahren ein gewaltiger Brandopferplatz. Vielleicht der größte überhaupt in den Alpen.
Der Goldbichl – eine Kathedrale der Vorzeit
Die Archäologen nehmen an, dass Menschen der frühen Bronzezeit um ca. 1900 v. Chr. damit begannen, auf der Kuppe Kultfeuer zu entfachen. Feuer war damals ein zentrales Element den Göttern zu huldigen. Die eigentliche Blütezeit des Opferplatzes erlebte der Goldbichl während der späten Eisenzeit, also zwischen 500 und 15 v. Chr., als die Römer dem Kultplatz vermutlich ein jähes Ende bereiteten. Nüchtern archäologisch ausgedrückt: „Der monumentale Bau lässt zwanglos den Schluss zu, hier ein überregionales Heiligtum mit offensichtlich zentralörtlicher Wirkung sehen zu dürfen.“
Eine noch sichtbare Wallanlage trennte den Heiligen Bereich des Opferhügels ab.
Das eigentliche Heiligtum am Goldbichl: der über die Jahrhunderte hinweg zu einem Berg angewachsene Opferplatz. Hier wurden Tieropfer genauso dargebracht wie Opfer in Form von Gebrauchsgegenständen.
Die monumentale Serlesspitze als prähistorischer Hochaltar
Ich messe der Geomorphologie (das ist die Landformenkunde) im Zusammenhang mit prähistorischen Kult- und Opferplätzen größte Bedeutung zu. In Tirol gibt es kaum einen bekannten Kultplatz der Vorzeit, der nicht von einem wunderschönen, gleichseitig-dreieckig aufragenden, pyramidenhaft aussehenden Berg ‚gekrönt‘ würde. Im Fall Goldbichl ist’s die Serlesspitze, die völlig zurecht heute noch den Ehrentitel „Hochaltar Tirols“ trägt. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Berge wie die Serles, der Habicht, die Kalkkögel und die Nockspitze eine sehr bedeutende Rolle in der Liturgie der prähistorischen Kulte am Goldbichl gespielt hatten.
Tirols schönstes Bergmonument als ‚Hochaltar‘ über dem Brandopferplatz? Diesen Blick auf Serles und Habicht hatten die vorchristlichen Schamanen vom Brandopferplatz am Goldbichl, der damals sicher nicht von Wald bedeckt gewesen ist.
Wie kann man sich nun eine Kulthandlung am Goldbichl vorstellen?
An solchen Plätzen opferten die Menschen der Vorzeit ihren Göttern einerseits Tiere und andererseits Gebrauchsgegenstände wie Töpfe, Messer oder sogar Waffen. Für mich steht fest, dass solche Handlungen stets mit einem großen Fest verbunden waren. Das Fleisch der Opfertiere wurde nicht geopfert und stattdessen von den prähistorischen Pilgern und Wallfahrern an Ort und Stelle verspeist.
Die Opferungen kann man sich so vorstellen: in der Bronzezeit waren es Feuer, die meist auf einem Lehmboden entzündet worden sind. Später begannen die Menschen, Steine zu kleinen Altären aufzuschichten. In der Eisenzeit bauten die Räter dann massive Steinaltäre, auf denen sie opferten. Das Feuer auf solchen Altären erreichte bisweilen Temperaturen, die selbst Steine zum Schmelzen brachten. Am Goldbichl ist übrigens so ein geschmolzener Stein ausgestellt.
Wenige Keramikbruchstücke genügten den Archäologen, dieses wunderschöne eisenzeitliche Tongefäß zu rekonstruieren.
Schenke und Kapelle auch schon in grauer Vorzeit?
Eine weitere Erkenntnis der Ausgrabungen am Goldbichl: Es gibt Erachtens eine nahtlose Tradition solcher heiligen Handlungen bis in die Jetztzeit. Früher waren es eben Tieropfer, die von den Gläubigen der Vorzeit dargebracht worden sind. Moderne Wallfahrer opfern halt Geld. Beiden gemein ist die verdiente Rast nach dem Kult. Die am Goldbichl gefundenen Überreste von bronze- und eisenzeitlichen Häusern lassen darauf schließen, dass schon in grauer Vorzeit nach dem Gottesdienst anständig gefeiert worden ist. Wie bemerkte doch Wilhelm Busch so treffend und offenbar zeitlos: „Oben von der schönen Stelle winken Schenke und Kapelle“.
Ein auf dem Goldbichl gefundener Teil eines eisenzeitlichen Haustürschlüssel lässt vermuten, dass hier auch wertvolle Kultgegenstände gelagert worden sind, die versperrt werden mussten. Wo genau der Kultschatz lagerte, ist bis heute nicht bekannt.
Mysteriös ist in diesem Zusammenhang der Fund eines ‚Hausschlüssels‘. Das lässt Vermutungen ins Kraut spriessen, dass mit dem Schlüssel eine Tür aufgesperrt werden konnte, hinter der vielleicht wertvolle Kultgegenstände verwahrt waren.
Und noch ein Rätsel gibt es zu lösen. Üblicherweise wurden bei den kultischen Handlungen auch Gerätschaften aus Bronze und Eisen geopfert. Messer, Fibeln und Schwerter wurden jedoch vorher unbrauchbar gemacht. Nach dem Verlöschen des Feuers wurden die Gegenstände eingesammelt und vermutlich an einem geheimen Ort verwahrt. Als Beleg dafür möchte ich den Depotfunde am Piller anführen, ein ebenso bekannter Tiroler Brandopferplatz am Übergang vom Pitztal ins Obere Gericht. Diesen geheimen Ort haben die Archäologen im Fall Goldbichl noch nicht gefunden.
Es ist nicht alles Gold was glänzt…
Ganz so, als würden sie den uralten Opferplatz bewachen, tauchen in dessen Nähe auf den Rinden von Föhren kleine Gesichter auf. Sie bewachen aber keinesfalls irgendetwas Goldenes. Der Name des Hügels dürfte nämlich von ‚Galt‘ stammen, also von ‚Galtvieh‘ (Jungrinder und Mutterkühe, die keine Milch geben), das einst hier geweidet haben soll. Galt und Gold klingen im Tiroler Dialekt verwegen ähnlich.
Ganz in der Nähe des einstigen Steinaltares tauchen Gesichter im Rindenkleid von Föhren auf. Ist es eine Geisterschar, die den Platz bewachen soll?
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Alle Bilder außer des Titelbildes: © Werner Kräutler