Wer kennt ihn noch, den Urtiroler Brauch des Krippeleschauens? Ich hatte heuer das Glück, dazu gleich zwei Einladungen zu erhalten: eine aus Oberperfuss, die andere aus Arzl bei Innsbruck.
Es ist eine Ehre, zum Krippeleschauen eingeladen zu werden, das war mir von vornherein klar. Dieser Brauch wird bis heute in den Krippendörfern um Innsbruck in einem eher intimen Rahmen zwischen Stefanitag und Maria Lichtmess gepflegt. Der Brauch blüht vor allem in den ausgewiesenen Krippendörfern Oberperfuss, Inzing, Axams, Mutters, Rum, Thaur, Zirl und Arzl. Aber wie gesagt eher im Verborgenen. Dessen tieferer Sinn ist es nämlich, vor allem Freunde und Familien in der Weihnachtszeit zusammen zu führen. Nicht ganz ohne Hintergedanken, wie dies bei Tiroler Bräuchen meist der Fall ist. Denn Krippeleschauen ist auch eine ganz hervorragende Gelegenheit, mit meist selbst gebranntem ‚Gloriawasser’ aufs Neue Jahr anzustoßen. Und dabei in gemütlicher Runde Geschichten über eine ganz typische Tiroler Tradition auszutauschen: Die des Krippenbauens.
Das Krippeleschauen in Oberperfuss erwies sich für mich denn auch als echte Winterveranstaltung. Starker Schneefall hielt die öffentlichen Busse davon ab, pünktlich zu sein. Ich kam grad noch zurecht, mit einer Gruppe Krippen-Enthusiasten die größte Krippe Tirols zu besuchen: die Niederkircher-Krippe im Hotel Krone zu Oberperfuss. Margit Pienz vom Tourismusverband hatte das Krippeleschauen für eine erlesene Schar Krippeninteressierter organisiert und mich dazu eingeladen.
Die Niederkircherkrippe in Oberperfuss
Im Oberperfer Hotel Krone hängt in der Rezeption ein Zettel: „Zur Krippe.“ Seltsam, denkt sich ein unbedarfter Besucher wie ich. Weshalb steht die dann nicht hier im Eingangsbereich? Wie sich herausstellt wäre das nur sehr schwer möglich.
Die Zettel weisen Besuchern erst einmal den Weg durch verwinkelte Stiegen und Gänge. Bis man urplötzlich vor einem wahren Gesamtkunstwerk steht, für das es einen eigenen Raum braucht. Denn die Ausmaße dieser Krippe von 5,2 Metern Breite auf 2,4 Meter Tiefe sind enorm. Hunderte von Figuren der Krippe – sie wird von Glasscheiben geschützt – sind jeweils zu biblischen Szenen geordnet, die in dieser Krippe dargestellt werden. Von der Verkündigung über die Herbergssuche, der Geburt im Stall, den Hirten auf dem Feld bis zum Besuch der Heiligen Drei Könige wird die Bibel in Figurengruppen dargestellt und zitiert. Die Hintergrundbemalung sorgt für eine echt orientalische Stimmung. Weshalb aber die Scheiben? „Es wurde schon versucht, seltene Figuren zu stehlen“, sagt Dr. Josef Weber, der uns die Krippe erklärt.
Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie in Tirol aus hart arbeitenden Bauern und Knechten urplötzlich Schnitzer, Bildhauer und Kunstmaler geworden sind. Hunderte Figuren der Krippe stammen aus einer Zeitspanne von zwei Jahrhunderten und werden der spätbarocken Giner-Schule Ende des 18. Jahrhunderts zugerechnet. Und wie lange braucht es, um diese Krippe aufzustellen? Zwei Wochen müssen da veranschlagt werden, sagt Josef Weber.
Reiseskizzen aus Palästina
Mich fasziniert die Ernsthaftigkeit, mit der das Krippelebauen in Tirol betrieben wurde und immer noch betrieben wird. Eine Geschichte wie aus Tausend und einer Nacht verdeutlicht diese Leidenschaft. Um die in den Krippen dargestellten Szenen nämlich realistisch wieder zu geben besuchten von 1898 bis 1906 zahlreiche Schnitzer, Maler und Krippenberge-Erbauer aus den heutigen Krippendörfern das damalige Palästina, vor allem aber Bethlehem. Das muss man sich einmal vorstellen! Obwohl sie – wie aus Aufzeichnungen hervorgeht – offiziell meistens gebetet haben, wie es sich für gute Pilger gehört – fertigten sie auch jede Menge Skizzen an. Mit nachhaltigem Erfolg.
Denn was dann folgte kann heute noch in verschiedenen Krippen bewundert werden: Die Darstellungen der Geburtsstadt Jesu und auch jene von Jerusalem wurden sehr realistisch. Ebenso wie die Gewänder der Hirten, der Händler und des Volkes. Nicht zu vergessen die Bauten, die in orientalischen Krippen nötig sind. Quasi Original-Nachbauten en miniature.
Ein Zirkus-Kamel als Studienobjekt
Eine andere, eher lustige Geschichte wird unter Tirols Krippenfreunden erzählt. Lange hatten es die Schnitzer nämlich nicht geschafft, ein lebensechtes Krippen-Kamel zu schnitzen. Auch Kameldarstellungen in Büchern, aus denen sie die Details entnahmen, waren alles andere als gut. Bis ein Zirler Schnitzer auf die Idee kam, sich die Kamele in einem durchreisenden Zirkus näher anzuschauen. Angeblich folgte er ihm zu Studienzwecken mehrere Tage lang. Und tatsächlich: Von nun an, so die Geschichte, gleichen die Köpfe der Krippenkamele plötzlich ihren natürlichen Vorbildern.
Weshalb denn ausgerechnet in Oberperfuss eine alte Krippenbautradition bestehe, will ich von Karl Gutleben wissen, dessen wunderschöne alte Krippe wir als nächstes besuchen. „Es waren bekannte und teils berühmte Krippenschnitzer, die die Tradition in Oberperfuss begründeten, die wir heute noch pflegen“, erzählt er mir. Während ich mich noch den berühmten ‚Spiegl-Schafen‘ in dieser Krippe widme, für die Josef Spiegl, einer der berühmten Oberperfer Schnitzer bekannt geworden war, wird das erste Gloriawasser gereicht. Für mich wird’s ein Zirbeler. Angestoßen wird mit einem „Gloria“ anstelle des in Tirol üblichen Wortes „G’sundheit“, bevor das Schnapserl leicht brennend die Mundhöhle in Richtung Magen verlässt.
Der nächste Besuch gilt dem ehemaligen Krippenbaumeister von Oberperfuss, Karl Triendl. Ja, richtig gelesen: in diesem Ort gibt es einen eigenen Baumeister für Krippen. Auch Karl ist – oder war – ein Laie, der einst begonnen hatte Schafe zu schnitzen. Und jetzt über eine Krippe verfügt, die mehr als 400 Figuren umfasst. Darunter sehr viele Schafe, wie er betont.
Die Pop-Art-Krippe von Oberperfuss
Zum Abschluss der Krippeletour in Oberperfuss komme ich in den Genuss, eine Weiterentwicklung der Krippenbautradition mit eigenen Augen bewundern zu dürfen: die Pop-Art-Krippe von Paul Hörtnagl. Der Pensionist begann vor Jahrzehnten, Krippenfiguren zu schnitzen, die von den klassischen Formen schon ziemlich stark abweichen. Die hellen, ja leuchtenden Farben, die er verwendet, vermitteln ein wahres Farbspektakel. Von weitem könnte man die Krippenfiguren mit Playmobil-Männchen verwechseln, so intensiv leuchten sie. Einer seiner Besucher habe die Figuren dann als Pop-Art-Figuren bezeichnet, erzählt mir Paul, um mir auch gleich ein weiteres Gloriawasser einzuschenken.
Nach dem Gloriawasser und dem Besuch der historischen Krippe in der Oberperfer Pfarrkirche geht’s für mich wieder zurück durch Schnee und Eis. Allerdings im Bus sitzend. Auch Jux und Tollerei verbiete ich mir heute, denn schon am nächsten Tag ist ein Krippeleschauen in Arzl bei Innsbruck angesagt. Der bekannte Arzler Fassmaler Konkrad Pernlochner hatte mich dazu eingeladen.
Im Krippendorf Arzl
Arzl bei Innsbruck ist im Grund noch immer ein Bauerndorf. Das fällt mir auf, als ich die ‚Krippengasse‘ hochsteige. Vorbei an einst stolzen Bauernhöfen und Ställen geht es durch eher verwinkelte Gassen zum Haus von Konrad Pernlochner, der mich auf eine kleine Krippelerunde in Arzl eingeladen hat. Ich habe ja Konrad als Fassmaler kennengelernt und hier im Blog beschrieben.
Zwei Tage für den Krippenaufbau
Nach einem Begrüßungskaffee besichtige ich seine Hauskrippe. Nun erahne ich, dass es auch bei Krippenfreunden so etwas ähnliches wie ‚Copyright‘ gibt. Konrad will nämlich nicht, dass ich die Figuren in seiner Krippe aus der Nähe fotografiere. Vor allem die Drei Könige auf ihren Kamelen hätten es mir angetan, eine wunderbare Figurengruppe, farbenprächtig und einzigartig. „Das wäre Wasser auf die Mühlen all jener, die solche Figuren dann einfach vom Foto weg nachschnitzen“, sagt er. Kein Problem, ich verstehe das.
Wie lange er denn braucht, seine Krippe aufzustellen will ich dann von ihm wissen. „Mindestens zwei Tage“, sagt er. Und wer je die Details einer Krippe genauer betrachtet hat, kann das sofort nachvollziehen. Die Krippen-Bäume müssen Jahr für Jahr neu zusammengesteckt, die Bauten und Figuren platziert und die Wiesen und Felder der Krippe mit neuen Farbpigmenten versehen werden. Eine Heidenarbeit!
Eine Drehkrippe bei Josef Löffler
Zur nächsten Krippe geht’s aufwärts, sie steht im Bauernhof von Josef Löffler. Wir betreten das Haus eines Jägers, das belegt eine Art Begrüßungskomitee, bestehend aus einer ganze Menagerie von ausgestopften Tieren. Da ragt unter anderem auch ein überdimensional großer Hirschkopf mit einem wunderbaren Geweih aus der Wand. Auf einer Truhe steht schon die erste Krippe des Hauses: eine Drehkrippe. „Das ist praktisch“, begrüßt uns Josef Löffler, „so kann von Maria Verkündigung an bis zu Dreikönig jeweils jene Szene nach vorn gerückt werden, die grad im Kalender aktuell ist.“
Dann zeigt uns der Hausherr seine große Krippe in der guten Stube mit Figuren, die er selbst geschnitzt hat. Ich kann mich nur immer wieder wundern, welche Talente in den Menschen schlummern. Denn auch diese Krippe ist ungemein detailliert gebaut, die Figuren wunderschön gearbeitet. Er habe halt irgendwann in seiner Jugend begonnen, Schafl zu schnitzen. Und dann eben auch andere Figuren, meint er bescheiden. Klingt einfach, ist es aber beileibe nicht.
Ganz wie’s den Weidmännern nachgesagt wird, serviert Josef denn auch gleich sein Gloriawasser, ohne das ein Krippeleschauen in Arzl nicht denkbar wäre. So gestärkt, geht’s zum Abschluss der Krippelerunde in Arzl in die Pfarrkirche, ebenfalls ein Meisterwerk verschiedener Schnitzer.
Was mich am Krippeleschauen so fasziniert hat? Dass dieser Brauch im Gefolge der Krippenbautradition immer noch blüht. Und das, obwohl Krippeleschauen weder beworben noch als Brauch ausgeschlachtet wird. Ich kann nur hoffen, dass die Tradition und der damit verbundene Brauch auch in Zukunft erhalten bleiben.
Ein Linktipp:
In Mutters ist es für Einheimische wie auch Gäste immer möglich, Krippele zu schauen. Mein Kollege Markus Mair stellt in seinem Blog die Mutterer Fensterkrippen vor, eine ‚Krippenausstellung‘ der ganz besonderen Art: https://blog.innsbruck.info/de/kunst-kultur/die-fensterkrippen-in-mutters/
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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