Zugegeben: Ich bin ein Bücherwurm. Genau genommen verlasse ich das Haus meist nur mit einem Buch im Gepäck. Dennoch bin ich fast nie in Bibliotheken anzutreffen – außer in der meiner Eltern, wodurch ich stets bestens mit Lesematerial versorgt bin. Doch Räume mit Büchern faszinieren mich und ich weiß genau, dass ich in Bibliotheken Tage und Wochen verbringen oder in Buchhandlungen ein Vermögen ausgeben könnte.
Im Rahmen einer Ausbildung landete ich eines Tages schließlich doch in einer Bibliothek: und zwar in der des Ferdinandeums, einer wissenschaftlichen Bibliothek mit landeskundlichem Schwerpunkt.

Landesmuseum

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck ©Innsbruck Tourismus/Mario Webhofer

Die Geschichte der Bibliotheca Tirolensis

ENTSTEHUNG

Ich durfte damals an einer sehr interessanten Führung durch die Bibliothek teilnehmen und viel über ihre Geschichte erfahren. Dieses Wissen darf ich nun an euch weitergeben: 1823 wurde das Ferdinandeum in Innsbruck gegründet – übrigens als zweites Landesmuseum in Österreich nach dem Joanneum in Graz. Die Bibliothek war von Anfang an ein wichtiger Teil dieser neuen Institution mit dem Auftrag, alles Gedruckte aus Tirol, das heißt aus der heutigen Europaregion Tirol (Bundesland Tirol, Südtirol, Trentino), zu sammeln und zu dokumentieren. Dieser Auftrag gilt bis heute.

Privatbibliothek Andreas Di Pauli

Dipauliana – Privatbilbiothek von Andreas Di Pauli, Ferdinandeum ©Verena Abenthung

KOSTBARE GESCHENKE

Sowohl das Museum als auch die Bibliothek erhielten früh zahlreiche Schenkungen. Der Aigner-Codex, die Handschrift C von Oswald von Wolkenstein, der Codex Wangianus maior oder die Handschrift des Schwazer Bergbuches waren einige der Schätze, die der Bibliothek auch überregionale Bedeutung verliehen.
Die Privatbibliothek des Juristen Andreas Alois Di Pauli war ein Geschenk von Kaiser Ferdinand I. Die Sammlung mit etwa 1.400 Bänden musste in einem eigenen Raum aufbewahrt werden, den es heute noch gibt. Di Pauli war Mitgründer des Tiroler Landesmuseums sowie der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Tirols, Kunstförderer und Sammler von tirolrelevanten Dokumenten und Büchern. Seine Bibliothek, die „Dipauliana“ genannt wird, umfasst viele Manuskripte und Unikate, die der Erforschung der Landeskunde Tirols dienen. Die Bezeichnung „Biblioteca tirolensis“ wählte Di Pauli selbst – wie treffend!

ERWEITERUNGEN

Der Bestand der Bibliothek wurde unter anderem durch Bände aus klösterlichem Besitz, die Zensurexemplare der Statthalterei, den Codizes aus Erzherzog Johanns Nachlass und zahllosen Geschenken erweitert.
Auch im 20. und 21. Jahrhundert wurden und werden verschiedene Sammlungen in die Bibliothek aufgenommen: Der umfangreiche Bücherbesitz des Tiroler Künstlers Paul Flora (Ausstellung 2016/17) kam beispielsweise 2015 ans Ferdinandeum.
Der Bestand der Bibliothek in Innsbruck umfasst heute ungefähr 300.000 Bände.

GRENZÜBERGREIFENDE BIBLIOTHEK

Als Tirol nach dem Ersten Weltkrieg (1919) durch die Brennergrenze geteilt wurde, blieben die Sammlungen des Ferdinandeums vollständig erhalten und wurden nicht aufgeteilt. Dies verdanken wir einem kleinen Detail: Das Ferdinandeum wurde bis 2007 als Museumsverein geführt, seitdem von einer Museumsbetriebsgesellschaft. Und Vereinsbesitz ist Privatbesitz.
Für die Bibliothek bedeutet das, dass sie die einzige Bibliothek ist, die den historischen Tiroler Bereich durchgehend bearbeitet. Die landeskundliche Ausrichtung blieb weiterhin erhalten und es wurde wegen der politischen Veränderungen von 1919 kein Grund gesehen, die Dokumentation der südlichen Landesteile auszusetzen.

Historischer Zettelkatalog

Zettelkatalog in der Bibliothek des Ferdinandeums ©Verena Abenthung

Ein einzigartiges System: der Zettelkatalog

Besonders wichtig für eine Bibliothek ist ein System, das eine Recherche einfach und schnell ermöglicht. Denn auch die umfangreichste Sammlung ist wertlos, wenn man nichts darin findet.
Die Systematik der Bibliothek des Ferdinandeums ist einzigartig und für mich persönlich total beeindruckend: Der historische Zettelkatalog ermöglicht die Suche nach Sachgebieten, Orten und Personen. Dabei sind Verweise in Zeitungen und anderen Sonderbeständen der Bibliothek miteinbezogen. Wenig verwunderlich, dass seit 1823 so eine kaum vorstellbare Zahl an Vermerken entstanden ist. Heute umfasst der Zettelkatalog etwa unglaubliche 1,6 Millionen Einträge. Digital kann auf circa eine weitere Million Verweise zugegriffen werden. Seit 2003 wird der Katalog digital geführt.
Der Südtiroler Conrad Fischnaler legte um 1900 mit seiner Form der Tirol-Dokumentation den Grundstein für diesen Katalog. Er schuf damit eine besondere Qualität der inhaltlichen Erschließung der Bestände. Als Wissenschaftler arbeitete er außerdem an einer Wappenkartei und an einer Innsbruck-Chronik.

Die Fischnalerstraße in der Höttinger Au und die Andreas-Dipauli-Straße in Kranebitten erinnern übrigens an diese zwei Persönlichkeiten, die für die Bibliothek so wichtig waren.

Zettelkatalog

Zettelkatalog mit 1,6 Mio. Einträgen ©Verena Abenthung

SELBSTVERSUCH

Ich durfte den Zettelkatalog selbst testen. Wenig kreativ suchte ich nach meinem eigenen Nachnamen. Der Begriff wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliothek herausgesucht und man bekommt einen Stapel kleinformatiger Zettel, die mit einem Gummiband zusammengehalten werden. Darauf sind nun die Verweise notiert. Für mein Beispiel finden sich unter anderem Informationen zu einem Tiroler Freiheitskämpfer, aber auch Zeitungsartikel über meinen Großonkel sowie einiges über mir unbekannte Abent(h)ungs.
Dieses „analoge Googlen“ hat einen besonderen Charme und ich möchte es unbedingt empfehlen. Ein bisschen Zeit braucht man halt dafür, aber es sei versichert: Es funktioniert!

Analog und digital

Die Bibliothek wird als Präsenzbibliothek geführt, Entlehnungen sind nicht möglich. Es ist aber erlaubt, zum Beispiel Zeitungen zu fotografieren, Reproduktionen erhält man gegen Entgelt. Die Bibliotheksbestände sind zur Gänze im Tiroler Landesmuseum untergebracht, sodass die gesuchten Unterlagen auch in wenigen Minuten am Tisch liegen können. Die kundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich sehr, dies zu ermöglichen. Toller Service!
Der große Lesesaal der Bibliothek lädt auf jeden Fall zum Verweilen, Schmökern und Forschen ein. Die Atmosphäre ist sehr angenehm. Als ich für einige Fotos endlich wieder in die Bibliothek kam, war das Klicken meiner Kamera übrigens mit Abstand das lauteste Geräusch.
In der Bibliothek sind mehrere moderne Kunstwerke zu sehen, die sehr passend und wenig aufdringlich die Verbindung zum Museum herstellen.
Inzwischen ist digitale Recherche natürlich auch möglich: opac.tiroler-landesmuseen.at. In einem kurzen Video gibt Kustos Roland Sila wichtige Tipps zur Recherche in den Online-Beständen. Zudem wird laufend an verschiedenen Digitalisierungsprojekten gearbeitet.

Olympische Spiele 1964

Die Tiroler Tageszeitung berichtet im Februar 1964 über die Olympischen Spiele in Innsbruck. ©Verena Abenthung

Alles Gedruckte

ZEITUNGEN

Es lohnt sich, die Sammlungen der Bibliothek noch genauer anzusehen und zu hinterfragen, was mit „allem Gedruckten“ eigentlich gemeint ist. Ein Teil sind zum Beispiel Tages- und Wochenzeitungen aus der Europaregion Tirol. Die Zeitungsbände sind im Freihandbereich verfügbar. Allein in diesem Bereich könnte ich Tage verbringen, um die Nachrichten am Tag der eigenen Geburt nachzuschlagen, alte Inserate anzuschauen oder (für Grafikerinnen wie mich) die Entwicklungen im Druck und in der Gestaltung zu beobachten … Herrlich!

KULTUR IN GEDRUCKTER FORM

Die schweren Zeitungsbände nehmen viele Regalreihen ein. Kleinere und weniger gut sichtbare Sammlungen finde ich aber fast noch spannender. Dazu gehören unter anderem Ex-Libris, Postkarten, Autographen, Speisekarten, Visitenkarten oder Sterbebildchen.
Ich gebe zu, dass ich ziemlich überrascht war zu hören, dass eine Museumsbibliothek solche Dinge sammelt. Bei genauerem Nachdenken erkenne ich aber den ungeheuren Wert. Ich glaube, dass all diese Sachen eine Kultur und eine Zeit ausmachen. Sterbebildchen sehen in jedem Land anders aus, sie sollten also unbedingt dokumentiert werden. Und gesammelte Speisekarten lassen später nicht nur diverse Preisänderungen nachvollziehen, sondern halten zum Beispiel Allergenverordnungen und ähnliches fest. Auch irgendwie aufschlussreich.

AUFGESCHRIEBENES

Besonders interessant sind die Handschriften, die in der Autographen-Sammlung zu finden sind. Da handschriftliche Aufzeichnungen in unserer Zeit immer weniger werden, steigt die Bedeutung dieser Autographen umso mehr. In der Bibliothek sind unter anderem Schriften von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Angelika Kauffmann, Peter Anich, Egon Schiele oder Napoleon zu finden. Außerdem gehören auch private Briefkorrespondenzen zur Sammlung.

Bücherregal Ferdinandeum

Von klein (unten) nach groß (oben): die Bibliothek ist vielseitig und strukturiert. ©Verena Abenthung

WISSENSSPEICHER

Die Bibliothek des Ferdinandeums wird gerne als „Tiroler Wissensspeicher“ bezeichnet – und genau das ist sie. Die Vielseitigkeit und der besondere Zauber faszinieren mich sehr und kitzeln mein Bücherinteresse, meine Heimatverbundenheit, meine Begeisterung für Geschichte und mein grafisches Auge. Beim Schreiben dieses Artikels suche ich insgeheim schon nach einem weiteren Projekt, das eine ausführliche Recherche in der Bibliothek verlangt … Während ich noch überlege, formt sich vorerst der feste Vorsatz, die spannenden Veranstaltungen dort zu besuchen.

Veranstaltungen

In der Bibliothek des Ferdinandeums finden regelmäßig Veranstaltungen statt. So zum Beispiel die Reihe „Aus der Zeit gefallen“, in der Persönlichkeiten, die in Vergessenheit geraten sind, vorgestellt werden. Christoph W. Bauer und Roland Sila präsentieren je zwei Biographien über Personen, die Erzählenswertes geleistet haben. Vorab werden keine Namen verraten, das Publikum darf sich also überraschen lassen. Die Termine für „Aus der Zeit gefallen“ sind auf der Homepage zu finden.

Bibliothek Ferdinandeum

„Verba volant, scripta manent.“ – „Wörter fliegen, Schriften bleiben.“ ©Verena Abenthung

Informationen

Bibliothek des Ferdinandeums, beim Eingang gleich links, Museumstraße 15, 6020 Innsbruck
Achtung! Die Bibliothek bleibt aufgrund der Covid19-Situation bis 29. Juni geschlossen!
Öffnungszeiten ab 30. Juni 2020: Dienstag–Freitag, 10:00–17:00 Uhr, an Feiertagen geschlossen
Präsenzbibliothek, kostenlos
tiroler-landesmuseen.at
opac.tiroler-landesmuseen.at
bibliothek@tiroler-landesmuseen.at

TITELBILD

Bibliothek Ferdinandeum, ©Alexander Haiden

QUELLEN

„Ein Tiroler Wissensspeicher – Ein Abstecher in die Bibliothek des Ferdinandeums“ von Roland Sila

Interview mit Kustos Roland Sila in der Tiroler Tageszeitung (05/2018)

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