Ich werde oft um einen Vorschlag für außergewöhnliche Spaziergänge in der Nähe von Innsbruck gebeten. Meine aktuelle Empfehlung für einen Spaziergung ist Leiblfing. Ein Ort, an der uralten Römerstraße gelegen und mit einem grandiosen Kirchlein gesegnet, in dem ein weitgehend unbekanntes aber spektakuläres Fresko freigelegt wurde. Mit einem Satz: Ich empfehle Kulturwandern auf uralten, ich möchte fast sagen mystischen Spuren.

Leiblfing, ist das ein Ort in Tirol? Nicht nur der gelernte Tiroler denkt beim Klang dieses Namens sofort an weißblauen Himmel, Wirtshäuser und bayerische Biergärten. Stimmt nicht ganz. Leibfling wurde zwar von Bayern begründet – das ‚ing‘ verrät die Gründer – ist aber ansonsten ein Ortsteil von Pettnau. Und Pettnau liegt zwischen Telfs und Zirl. Dass seit Oktober 2017 vor einem uralten Tiroler Wirtshaus, dem Gasthöf Öttl – heute Mellaunerhof – dennoch bayerische Fahnen wehen ist also eine quasi historische Reminiszenz, die perfekt in die bajuwarische Vergangenheit des Ortes passt.

Was macht nun Leiblfing so interessant, dass ich dort einen Spaziergang wärmstens empfehle? Es ist eine der bemerkenswertesten Kirchen Tirols, die allein schon einen Besuch rechtfertigt. Auf einem Hügel gelegen ist die Kirche zum Heiligen Georg angeblich die am meisten fotografierte Tirols. Woran ich keine Sekunde zweifle.

Leiblfing, St. Georg

Mit Sicherheit eine der schönsten Kirchen Tirols: St. Georg in Leiblfing. Die links der Kirche pyramidenförmig aufragende Bergspitze des Schafmarebenkogels ist ein markanter Hinweis auf das wahre Alter dieser Kultstätte.

Es ist sicher auch die Form des Kirchturms, die dieser in gotischem Stil erbauten Kirche ein unverwechselbares Antlitz gibt. Auf einer barocken Kuppel thront eine lange – wie eine Nadel in den Himmel ragende – Kirchturmspitze in gotischem Stil. Eine Kombination, die angeblich auf einen Kompromiss zurückzuführen ist, der bei der Kirchenrevonvierung des Jahres 1710 geschlossen wurde. Barock- oder gotische Turmspitze war damals die Frage. Eine Kombination beider Stile war der  außergewöhnliche und sehr fotogene architektonische Kompromiss.

Ein uraltes Fresko in der Kirche zeigt zwei der Drei Saligen, die weibliche Dreifaltigkeit aus  rätischer Zeit.

Die Kirche ist uralt, das steht fest. Wenn bereits 1090 (!) eine erste Renovierung des ursprünglichen romanischen Kirchleins erfolgt ist muss sie wesentlich älter sein. Meines Erachtens  steht sie sogar auf einem uralten rätischen Kulthügel. Weshalb rätisch? Weil ein Fresko im Inneren der Kirche ein eindeutiger Hinweis auf die Vergangenheit dieses Platzes ist. Das an der Nordseite des Kirchenschiffs freigelegte Bild zeigt drei heilige Frauen, wovon zwei noch malerisch erhalten sind. Drei Frauen in einer Kirche sind hierzulande gleichbedeutend mit den „3 Saligen Frauen“, die wiederum eine Anleihe aus dem Glauben der Räter vor etwa 2.500 Jahren sind. Die Räter verehrten bekanntlich eine weibliche Dreifaltigkeit, also drei Frauen als Gottheit, deren Namen sogar überliefert sind: Anbet, Wilbet und Borbet.

Für mich gibt es noch einen weiteren wichtigen Hinweis, nämlich eine Bergspitze in Pyramidenform, die von der Kirche aus zu sehen ist: den Schafmarebenkogel. Solche ‚Dreiecksspitzen’ waren für die Räter ‚heilige Berge‘ und sind in Tirol von vielen Wallfahrtskirchen aus zu sehen. (Aber auch von Kultplätzen, wie das Beispiel des B’schriebenen Steins im Viggartal zeigt.) Auch wer geglaubt hätte, das Kirchlein sei immer irgendwie weit abseits der Verkehrswege gestanden, täuscht sich. St. Georg in Leiblfing stand direkt an einem historisch wichtigen Transportweg im Tiroler Oberland.

Von Leiblfing nach Pettnau auf den Spuren der Römer

Wie meist, sind es sich ändernde Transport- und Verkehrswege, die einst blühende Durchzugsorte urplötzlich veröden lassen. Ähnlich Flusswindungen, die nicht mehr durchströmt und somit zu Nebenarmen werden. Pettnau und Leiblfing sind dafür ein perfektes Beispiel. Einst führte die Römerstraße rechts (flussaufwärts) des Inns von Zirl kommend via Telfs und das Mieminger Sonnenplateau nach Nassereith und somit zur Römerstraße Via Claudia Augusta. Im Mittelalter musste diese Verbindung dann fröhliche Urständ gefeiert haben. Denn gleich zwei massige, heute noch erhaltene Wirtshäuser boten auf engstem Raum Speis und Trank samt Unterkunft: der Gasthof Öttl – heute Mellaunerhof – in Pettnau und das Gasthaus Baldauf, heute das Gemeindeamt von Pettnau. In der Neuzeit war es die Autobahn, die im großen Bogen an Pettnau und Leiblfing vorbeiführt und den Verkehrsfluss durch den Ort quasi versiegen ließ.

Das einstige Gasthaus Baldauf in Pettnau beherbergt nun das Gemeindeamt.

Deshalb ist es auch so interessant, sich von Leiblfing in Richtung Dorfzentrum Pettnau aufzumachen. Denn das Gemeindeamt ist überaus sehenswert. Der massige Bau war bis 1973 ein beliebtes und vor allem riesiges Gasthaus. Das Haus mit einem Mittelflurgrundriss (der Hausflur liegt in der Hausmitte) stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Malereien an der Vorderfront zeigen Darstellungen des Heiligen Florian und Christophorus. Ein aufgemalter Fuhrwerkszug schildert eindrucksvoll, welche Gäste dieses Haus einst beherbergte. Eine Sonnenuhr rundet die Bemalungen ab, ganz so, als ob sie die fahrenden Händler auffordern wollte, in diesem Hause nicht zu versumpern.

Das einstige Gasthaus Baldauf und die sich auftürmenden Berge der Mieminger Kette. Im Bild das zweite große Fresko: ein Heiliger Florian.

 

Ähnlich der Mellaunerhof, der etwa zwei Kilometer weiter westwärts liegt und zu Fuß oder mittels öffentlichem Bus erreichbar ist. Der ‚Öttlhof‘, wie er früher genannt worden ist, wird urkundlich erstmals 1472 erwähnt. Die heutige Fassade stammt allerdings aus dem 18. Jahrhundert, die Fassadenmalereien wurden 1950 angebracht. Im vergangenen Oktober wurde diesem wunderschönen Haus nach einer mustergültigen Renovierung durch die deutsche Messerschmitt-Stiftung neues Leben eingehaucht. Das historische Gasthaus ist wieder voll im Betrieb und bietet neben einer exzellente Küche auch wunderbar-geschmackvoll restaurierte Zimmer zum Verbleib an.

Das einstige Gasthaus Öttlhof – später Mellaunerhof – gehört sicher zu den schönsten und ältesten Wirtshäusern Tirols.

Diese Mischung aus uralter Kultur und moderner Gastlichkeit macht aus dem Mellaunerhof wieder das, was er früher einmal war: einen echte, ganz wunderbaren Aufenthaltsort für Durchreisende, aber auch für Spaziergänger, denen es Spaß macht, auf uralten Tiroler Spuren zu wandeln.

Meine Tipps:

  • Benützen Sie öffentliche Verkehrsmittel, um nach Leiblfing / Pettnau zu gelangen. Busse verkehren zwischen Innsbruck und Leiblfing direkt.
  • Mit dem Zug erreicht man Leiblfing ebenfalls ratz-fatz: Fahrt bis zum Bahnhof Hatting. Von dort ist man in etwa 15 Minuten bei der St. Georgskirche von Leiblfing.
  • Gemeindeamt Pettnau und Mellaunerhof sind ebenfalls gut und günstig mit Öffis zu erreichen. Die genauen Abfahrtszeiten sind auf der Website www.vvt.at zu finden, oder auf der Smartphone-App VVT-SmartRide.

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