Mit gemischten Gefühlen fahre ich an einem kalten Novembermorgen in das Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen. Für den Innsbruck Blog habe ich über die Jahre schon viele sehr interessante Menschen getroffen, aber um tote Tiere ging es dabei (ausgerechnet mit Ausnahme des letzten Blogposts zur neuen TV-Serie Aus die Maus!) noch nie. Peter Morass, Stvr. Bereichsleitung für Zoologie/Wirbeltiere der Tiroler Landesmuseen, ist eine Koryphäe auf seinem Fachgebiet der Taxidermie und erwartet mich bereits im unteren Stock des modernen und wunderbar lichtdurchfluteten Gebäudes.

Mein Besuch beginnt in der Werkstatt, wo ich zu meiner Erleichterung rein gar nichts entdecken kann, wovor mir graust. Dafür stelle ich fest: ich weiß erstaunlich wenig über ausgestopfte Tiere. Vielleicht liegt es daran, dass in meiner Familie keine Jäger sind? Die Leidenschaft mit der Peter – wir sind wie in Tirol üblich schnell per Du – von seinem Beruf und den Tieren erzählt gefällt mir. Er spricht sehr respektvoll und mit einem großen Wissen über die Tiere, die ihn umgeben. In mir kommt der innere Forschungsgeist zum Vorschein und meine Neugierde wächst. Also wechseln wir in die Lagerräume der Naturwissenschaften, wo ich einen ersten Einblick in die Schätze des Hauses bekomme.

IN DEN LAGERHALLEN DER NATURWISSENSCHAFTEN

8000 Quadratmeter groß sind die Depots, in denen hier mehrere Millionen Objekte aus Kunst, Kultur und Naturwissenschaften verwahrt werden bis sie wieder wo ausgestellt werden. Wir befinden uns in jenem der Naturwissenschaften.

Die mit Kurbeln verschiebbaren Regale erinnern an Polizei-Archive in Filmen. Nur, dass anstatt von Akten hier Präparate aller Art feinsäuberlich bei einer konstanten Temperatur von 19 Grad gelagert werden. Wir beginnen bei den ganz großen Tieren, den Tigern, Löwen, Straußen und Hirschen. Peter Morass hat in seinem Leben schon so ziemlich alle Tiere die es gibt präpariert. Gut vernetzt wie er als Museumspräparator ist, landen die unterschiedlichsten Tiere nach ihrem natürlichen (!) Ableben bei ihm.

“Die meisten Tiere bekommen wir z.B. aus dem Alpenzoo, von der ASFINAG und manches mal auch von Leuten, die zuhause besonders perfekt geputzte Fensterscheiben haben, wo die Vögel dagegen knallen…” erzählt mir Peter. Unter anderen ist zum Beispiel auch jener Wolf, der im Juni auf der Europabrücke überfahren wurde hier gelandet.

KURIOSES & UNGEWÖHNLICHES

Sie sehen unglaublich echt aus und es fest steht: ich würde keine Nacht in den Lagerhallen verbringen wollen. Ich habe fast ein wenig Skrupel, die beiden kopulierenden Tiger zu fotografieren. Dabei gehören die beiden sogar zu den sogenannten Streichpräparaten. Das bedeutet in erster Linie, dass keine giftigen Stoffe für die Instandhaltung verwendet wurden und dass man hier tatsächlich die Gelegenheit hat Wildtiere anzufassen, denen man sonst lieber nie so nahe kommen sollte. Der präparierte Löwe ist sogar so stabil, dass man sich darauf setzen könnte. Auch hier merke ich persönlich einen innerlichen Widerstand, die Chance die beiden Tiere zwar etwas zögerlich, dafür völlig gefahrlos und legal zu berühren lasse ich mir aber trotzdem nicht entgehen! Wer weiß denn schon wie sich so ein Tigerfell anfühlt? Auf jeden Fall ganz anders als das einer Katze oder gar eines Plüschtiers…

Neben der weltweit größten Schmetterlingssammlung der Alpen, gibt es hier auch jede Menge kuriose Stücke zu finden. So zum Beispiel das zweiköpfige Kalb aus Obermieming, das 1989 so das Licht der Welt erblickte. Es handelt sich also nicht um eine makabere Bastelarbeit, sondern Mutter Naturs Werk. Zum Beweis wurde (wie es übrigens hier in der Sammlung generell üblich ist) die zusammengewachsenen Schädelknochen aufgehoben.

SCHON LANGE NICHT MEHR AM DAMPFEN

Die Losungssammlung ist aus einem Hobby heraus entstanden, erzählt mir Peter, der große Flächen in den Bergen rund um Innsbruck akribisch nach den Hinterlassenschaften von verschiedenen Tieren bereits abgesucht hat. Die Kacke, die hier schon lang nicht mehr am Dampfen ist, erzählt den Forschern viel über die Ernährung und die Aufenthaltsorte von Alpentieren wie Schneehühnern, Hasen und Co. Und tatsächlich sieht man auf einen Blick die unterschiedlichen Farben, denn je nach Jahreszeit ändert sich in den Bergen natürlich auch die Nahrung stark. Und wieder stelle ich fest, wie unglaublich vielen Interessen man in den Bergen nachgehen kann. Weit entfernt von den üblichen Tätigkeiten wie Gipfel erklimmen, klettern, skifahren oder Pilze suchen.

Ich staune nicht schlecht als ich erfahre, dass in den Laden auch jede Menge andere Tiere präpariert liegen. Mäuse werden als sogenannte Bälge präpariert, welche man sich wie eine bisschen einfachere Form eines Präparats vorstellen kann, die auf einem Spieß steckt. Hier geht es weniger um die Authentizität beim Sichten, sondern wissenschaftliche Aspekte. Diese Aspekte haben wohl auch bei den Mausbälgen Vorrang, welche ich kaum als solche erkennen würde: sie stammen nämlich aus dem Magen eines Adlers. Auch dort brauchen sie eine Zeit, um verdaut zu werden und wenn das Tier davor verstirbt findet man sie bei der Untersuchung des Mageninhalts.

Anschließend werfen wir noch einen Blick in die Käfer und Schmetterlingssammlung, die enorm groß und vielfältig ist. Auch einige Wiener Nachtpfauenaugen gibt es hier – sie werden bis zu 17 Zentimeter groß und sind vielleicht dem einen oder anderen vom Logo der Langen Nacht der Museen bekannt. In Tirol findet man sie in der Natur übrigens selten, sie sind tatsächlich eher im Osten Österreichs heimisch.

Als Peter vor einigen Jahren bei der Präparatoren-EM in Dortmund mitgemacht hat, hat er 14 Präparate eingereicht. Prompt sind alle 14 prämiert worden, eines wurde sogar Europameister. Spätestens jetzt ist klar: hier bewegen wir uns in der absoluten Topliga.

WIE PRÄPARIERT MAN TIERE, HERR MORASS?

Jetzt will ich es doch noch ganz genau wissen: wie entstehen denn nun eigentlich Tierpräparate? “Frische Sachen verarbeite ich nicht. Aus einem ganz einfachen Grund: die haben oft Parasiten, Flöhe, Zecken, etc. Also kommt das Tier zuerst in einen Plastiksack in die Tiefkühltruhe.”

Anschließend wird dem Tier dann die Haut abgezogen mit einem feinen Schnitt und umgedreht. Fell oder Federn liegen dann innen, die meist sehr fettige Haut außen. Die Haut wird gesäubert und gegerbt und schlussendlich wird die Haut noch nass auf Plastikformen gesetzt. Diese Tierkörper aus Plastik kann man teilweise kaufen, oder aber sie müssen selbst angefertigt werden. So ist es zum Beispiel beim aktuellen Präparat eines Königpinguins der Fall, hier formt Peter den Innenkörper selbst. Füße und Schnabel wurden davor bereits abgeformt und werden ebenfalls als einer Modelliermasse händisch angefertigt. In diesem speziellen Fall werden sogar alle Originalknochen des Pinguins aufbewahrt. Später werden sie wieder zu einem Skelett zusammengeklebt werden um einen noch genaueren Einblick in die Anatomie zu geben.

Wenn die Form fertig und das Leder gegerbt ist, wird die Haut übergezogen und zugenäht. Der Vorgang ist bei jedem Präparat der gleiche – egal, ob Maus, Adler oder Tiger. “Ich vergleich’s ein bisschen mit der Arbeit eines Schaufensterdekorateurs” erklärt Peter. Mit fünf Millimeter Stichabstand wird die Haut händisch wie vom Chirurgen mit einem Kunststofffaden zusammengenäht. Bei großen Tieren, also langen Schnitten dauert das so seine liebe Zeit…

Tipp: Das Ergebnis wird bald in einer Ausstellung über die Anpassungsfähigkeit der Alpentiere in der neuen Dependance der Tiroler Landesmuseen in der Weiherburg (Zutritt nur über den Alpenzoo) zu sehen sein!

Im letzten Schritt werden dann noch die Augen eingesetzt. Glasaugen gibt es tatsächlich in allen Größen und Farben, wobei Schafaugen leichter zu bekommen sind als Pinguinaugen. Zum Abschluss werden dann bei Bedarf noch Lider und ausgeblichene Hautstellen gefärbt.

Was macht nun ein gutes Präparat aus? 

“Das Wichtigste bei einem Präparat ist immer das Auge. Bei uns Menschen sagt man ja auch das Auge ist der Spiegel der Seele. Ein schlecht gesetztes Auge macht das Tier tot, ein gut gesetztes lässt es lebendig wirken. Ich bin nicht der liebe Gott der ihnen das Leben einhaucht, aber man versucht es so lebendig wie möglich zu machen. Und dann sollten sie natürlich noch ewig halten… so Gott will, werden wir ja sehen.” 

Die Dauer für ein Präparat unterscheidet sich übrigens stark nach Projekt, ein kleiner Vogel ist in zwei Stunden fertig – in dem noch nicht fertigem Pinguin steckt bereits jetzt eine Woche Arbeit.

Authentisch und langlebig ist übrigens auch dieses Präparat, denn es stammt aus dem 18. Jahrhundert! Der Dünnschnabel-Brachvogel ist in Tirol ausgestorben, das Präparat lebt aber seit über 100 Jahren im Museum/in der Sammlung weiter.

PANDAS UND SUSHI

Vor einigen Jahren wurde Peter die Ehre zu Teil den natürlich verstorbenen Panda aus dem Schönbrunner Tiergarten zu präparieren. Alle Pandas weltweit sind Leihgaben des chinesischen Staats und müssen auch nach ihrem Ableben wieder retourniert werden. In diesem Fall hat der Panda Long Hui präpariert (+Knochen) seine letzte Reise angetreten. Apropos Wildtiere und Zootiere: Peter Morass präpariert keine Haustiere und zwar aus Prinzip nicht.

Seinen Beruf hat der gebürtige Innsbrucker sich übrigens selbst beigebracht. Ganze 16 Jahre hat er für das kaiserliche Vogelmuseum in Japan gearbeitet, bevor er zurück nach Tirol gekehrt ist. Tiere, tot oder lebendig, hin oder her – mit Peter kann man sich auch gut über japanisches Essen unterhalten und Tipps austauschen, wo in Tirol man die besten Soba & Sushi bekommt. Nach 16 Jahren spricht er natürlich auch fließend Japanisch, was doch in Tirol nicht allzu oft vorkommt. Das würde hier jetzt allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen…  Also verabschiede ich mich von diesem lehrreichen Besuch und bedanke mich nochmal für die Einblicke, die ich für den Innsbruck Blog hier mitnehmen durfte.

Eine kleine Empfehlung noch zum Schluss: die Räumlichkeiten des Sammlungs- und Forschungszentrums der Tiroler Landesmuseen haben mich beeindruckt. Normalerweise sind diese nicht für die Öffentlichkeit zugänglich – im Zuge von Veranstaltungen, wie die Lange Nacht der Museen, öffnen sie aber für Führungen ihre Pforten. In diesem Fall kann ich einen Besuch nur wärmstens empfehlen!

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