Alle Jahre wieder steht unsere Bergiselschanze im Mittelpunkt der Wintersport-Welt. Heuer gilt es gleich zwei Jubiläen zu feiern: Seit genau 95 Jahren stürzen sich am Tiroler Schicksalsberg tollkühne Menschen auf zwei Brettln in die Tiefe. Und seit 70 Jahren tun sie das im Rahmen der Vierschanzentournee. Der Wermutstropfen: 2022 muss das Bergiselspringen ohne Zuschauer über die Bühne gehen.
Vom Schicksalsberg zum Sprungstadion
In meine Erinnerung tief eingegraben ist die Eröffnungsfeier zur ersten Innsbrucker Olympiade am 29. Jänner 1964 samt Entzündung des olympischen Feuers im damals neuen Bergiselstadion. Das Feuer wurde nämlich durch das Vorbild in meiner Jugend, Josl Rieder, den Slalomweltmeister von 1958, feierlich entzündet. Die Sprungschanze war gerade neu hergerichtet worden, das legendäre Bergiselstadion wurde gar für 55.000 Besucher konzipiert. Tirols Schicksalsberg - Schauplatz der Schlacht am Bergisel - wurde zur Arena sportlichen Kampfes.
Gianna Nannini rockte als erste im Stadion
Da fällt mir eine Schnurre ein, die ich kurz erzählen will. Vor allem, weil diese Geschichte aus dem Jahre 1976 in der Folge Auswirkungen auf Innsbruck hatte. Gemeinsam mit meinem damaligen WG-Spezi, dem heutigen Treibhaus-Impresario Norbert Pleifer besuchte ich das Trainingsspringen für den Bewerb auf der Großschanze während der Olympiade 1976. Beim Anblick italienischer Springer - denen wir trotz eher matter Sprünge jeweils lautstark und frenetisch applaudierten - ist eine Idee gereift. Was wäre, wenn beim K-Punkt eine Bühne in den Aufsprung geklotzt würde fragten wir uns? Fertig wäre eine geniale Open-Air-Arena. Wir dachten damals an die Rolling Stones, aber das nötige Kleingeld in einer Größenordnung von 600.000 Schilling fehlte. Einige Jahre später, man schrieb das Jahr 1986, setzte Norbert seine Idee in die Tat um und brachte wieder Italien ins Spiel: er füllte den Zuschauerkessel mit der italienischen Rockdiva Gianna Nannini. Ein wahrhaft legendäres Konzert, dem weitere Open-Air-Konzerte folgten.
1999 hatte die Stadt Innsbruck dann den Umbau der Anlage und der Schanze in einem internationalen Gutachterverfahren ausgeschrieben. Sechs renommierte in- und ausländische Architekten wurden eingeladen, ihr Konzept für den Umbau vorzustellen. Zur 50. Vierschanzentournee 2002 wurde die Schanze gesprengt, wieder neu aufgebaut und mit Matten belegt um Sommerspringen möglich zu machen.
Mit dem Umbau der Schanzenanlage wurde auch gleichzeitig die Silhouette unserer Stadt nachhaltig, in meinen Augen äußerst positiv verändert. Die mit der Planung und Neuerrichtung beauftragte Architektin Zaha Hadid schuf jedenfalls einen preisgekrönten Anlaufturm, der in der Zwischenzeit zu einer Ikone des Skisprungs geworden ist.
Die Seegrube als ‚Krippe‘ der Vierschanzentournee
Dass Skispringen in Innsbruck schon sehr früh populär geworden war, ist ja beileibe kein Wunder. Steile Hänge gibt’s ja hierzulande zuhauf. 'Wilde Hunde' veranstalteten damals schon jährlich im Spätfrühling ein Springen auf der Seegrube - da weisen Anlauf und Aufsprung bereits bergsteigerische Schwierigkeitsgrade auf. Am Bergisel wurde indes ‚erst’ vor exakt 95 Jahren, nämlich am 23. Jänner 1927 begonnen, mit Skiern in die Luft zu gehen. Beim damaligen Eröffnungsspringen fixierte ein gewisser H. Mayerl den ersten Schanzenrekord mit 47,5 Metern.
Die Idee zur heutigen ‚Vierschanzentournee‘ wurde denn auch auf der Innsbrucker Seegrube geboren. Schon länger hatten sich Skisprungfunktionäre nach dem Krieg Gedanken über eine Veranstaltung gemacht, die in Österreich und Deutschland stattfinden sollte. Das Nachtskispringen (!) am 17. Mai 1952 auf der Seegrube brachte dann den Durchbruch: nach langen und bisweilen schwierigen Diskussionen einigten sich die Funktionäre auf einen Organisationsplan einer „Deutsch-Österreichischen Springertournee“.
'Buwi' Pradl, erster Sieger am Bergisel
Das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen 1953 war der Auftakt einer Veranstaltungsserie, die seither Jahr für Jahr zehntausende Fans in ihren Bann zieht. Und das nicht nur in Deutschland und Österreich. Der erste Gesamtsieger war ein Österreicher, der 1936 erstmals von einer Schanze 100 Meter weit geflogen war: der legendäre Sepp „Buwi“ Bradl. Er siegte damals auf dem Bergisel mit Sprüngen auf 72 und 73,5 Meter.
Während bei der vierten Tournee 1955/56 noch ein Springer gewinnen konnte, der die Nacht vorher durchgezecht hatte - es war ein trinkfestes finnisches Urgestein namens Silvenoinen - ist das heute kaum mehr denkbar. Springer und Veranstalter haben eine rasante Entwicklung in Richtung Professionalität hinter sich. Pudelmütze und Rollkragenpullover der Springer sind Museumsstücke. Genauso der Sprungstil, bei dem die kühnen Flieger ihre Hände nach vor streckten um weiter zu springen. Und der einst hölzerne Anlaufturm am Bergisel hat einem architektonischen Kunstwerk Platz gemacht.
Der SV Innsbruck Bergisel werkt 'hinter der Bühne'
Ein Mann, der die Entwicklung des Skispringens am Bergisel seit 40 Jahren aktiv verfolgt, ist der Obmann des Sportvereins Innsbruck Bergisel, Alfons Schranz. Nach 20 Jahren als Chef des Organisationskomitees ist das Springen am 4. Jänner 2022 in Innsbruck sein letzter Chef-Einsatz, an dem er insgesamt 160 freiwillige Mitarbeiter und Vereinsmitglieder quasi dirigiert. Immerhin gilt es nicht nur, auch heuer wieder rund 500 Personen für zwei Tage bestens zu versorgen und zu betreuen. So groß ist der Tross der Vierschanzentournee. Aber der optimale Zustand der Schanze ist genauso wichtig.
Die Springer landen auf Schnee aus Schmirn
Ich wollte von Alfons Schranz wissen, was die Unwägbarkeiten eines solchen Springens sind. „Schlicht das Wetter und der Wind“, sagt er. Um sicherzustellen, dass genug Schnee für die Präparierung der Anlage vorhanden ist, hat der Sportverein seit Jahren eine Vereinbarung mit der Gemeinde Schmirn. Im dortigen Ortsteil Ladins wird aufgrund der Schattenlage und Temperatur Schnee mit einer Schneekanone hergestellt und deponiert, von wo er bei Bedarf zur Präparierung mit LKW nach Innsbruck transportiert wird. „Wir benötigen etwa 3.000 Kubikmeter“ erzählt Schranz. „Den können wir nicht irgendwo her nehmen, denn der Schnee darf keinen auch noch so kleinen Stein enthalten.“ Die Präparierung der Anlaufspur hingegen erfolgt aus ‚Innsbrucker Eis‘, das beim Abschleifen der Eisfläche des Olympiastadions quasi als Abfall übrig bleibt.
Bald Flutlicht
Um dem Wind in Zukunft noch mehr Paroli bieten zu können - ein ‚Windnetz‘ ist seit einigen Jahren vorhanden - wird an einer Flutlichtanlage gearbeitet. Deren Einsatz ermöglicht es in Zukunft, die Veranstaltung später als 13:30 Uhr beginnen zu können. Was mehrere Vorteile bringt. „Nicht umsonst starten die Springen auf den anderen Schanzen im Flutlicht um 16:00 Uhr“, sagt Schranz. „Also einer Tageszeit, an der kaum noch Wind vorhanden ist, der eine Veranstaltung ja massiv beeinflussen kann, wie wir wissen.“ Und dann wären auch noch die TV-Zuseher. „Es ist klar, dass bei einem späteren Beginn des Bergiselspringens allein in Deutschland zusätzlich eine Million Zuschauer motiviert werden, das Springen zu verfolgen.
Das Bergiselspringen, die unbezahlbare Werbung für unsere Stadt
Das Bergiselspringen ist ein genialer, erster Höhepunkt des Tiroler Sportjahres. Die TV-Reichweiten in Deutschland und Österreich, vor allem aber in Norwegen und Polen erreichen Spitzenwerte bei den sogenannten ‚Marktanteilen‘. Wenn man eine Tourismus-Werbeveranstaltung für Innsbruck heute erfinden müsste, es wäre mit Sicherheit dieses Skispringen. Da werden knapp zwei Stunden lang Bilder unserer Stadt und der Berge weltweit verbreitet, die eine unbezahlbare Lust auf einen Besuch unserer Stadt machen. Etwa 80 Prozent der etwa 200.000 Besucher im Anlaufturm geben an, auch aufgrund des Skispringens nach Innsbruck gekommen zu sein.
Das erwirtschaftete Geld wird auch in Jugendarbeit investiert
Der Sportclub Bergisel setzt sich aus den Vereinen Wintersportverein Innsbruck, Sportvereinigung Tyrol, Innsbrucker Skiläufervereinigung und der Turnerschaft Innsbruck zusammen, die in ihren Sektionen eine höchst erfolgreiche Jugendarbeit durchführen. "Und da kommen die Einnahmen aus dem Springen gerade recht", sagt Schranz.
Mehr Schnurren und Geschichten zum Skispringen in Innsbruck
Mein Tipp für alle Innsbruck-Afficionados: Wer mehr über die Anfänge des Skispringens in Innsbruck wissen will sollte eine ganz wunderbar-historische Internet-Plattform besuchen. Sie gehört mit Sicherheit zu den Besten ihrer Art. Es ist die Website des Innsbrucker Stadtarchivs namens „Innsbruck erinnert sich“, die die Geschichte des Wintersports in Innsbruck in überaus lesenswerten Geschichten aufbereitet.
Gleichzeitig bedanke ich mich beim Stadtarchiv für die Genehmigung der Verwendung der historischen Skisprung-Foto in meinem Blogpost.
Geschichten über den Bergisel hier am Innsbruck Blog gibt's von meinem Kollegen Vil Joda, der hier den legendären Eddie the Eagle traf. Danijel war beim Bergiselspringen 2020 live dabei und hat spektakuläre Fotos gemacht. Und Lea blickt hinter die Kulissen mit dem Fensterreiniger auf der Bergiselschanze.
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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