„Das Löchlein im Berg ist im Verhältnis zu der Gesteinsmasse winzig – bei einem Erdbeben rutscht der Tunnel einfach mit. No worries,“ spricht Simon Lochmann, der Marketingleiter der BBT im Rahmen unserer Führung durch die sogenannten Tunnelwelten des Brenner Basistunnels. Irgendwie beruhigend, zumal die Einfahrt in den Tunnel tief unter der Erde unmittelbar bevorsteht.
Attraktion 1: Deponie
Entlang des 10 Kilometer langen Panoramawegs werden die Dimensionen der größten Deponie des Brenner Basistunnels allgegenwärtig. Foto: Kristina Erhard
Da stehe ich – eine übergroße grellorange Jacke übergeworfen und einen noch grellgelberen Helm auf meinem sorgfältig zerzausten Dutt. Mein Blick schweift über die frühwinterliche Berglandschaft, oben Schnee unten grünbraune Almwiesen und die Deponie des Padastertals. In ungefähr zehn Jahren – wenn durch den 64 Kilometer langen Brenner Basistunnel die ersten Züge von Nord- nach Südtirol fahren werden – wird sich hier die größte Deponie des Tunnelbaus befinden. Auf einer Länge von 1400 Metern und bis zu 80 Meter hoch werden an die 7,7 Millionen Kubikmeter Aushub lagern. Die Dimensionen sind entlang des Panoramawegs schon heute erkennbar. Die Oberfläche der Deponie wird natürlich extra grün gestaltet und bepflanzt, um aus dem ehemaligen „Sauloch“, wie es manche Steinacher liebevoll nennen, eine landwirtschaftlich nutzbare Ebene zu formen. Denn eines ist klar: dem Fortschritt sind die Wipptaler nicht abgeneigt, aussehen soll es trotzdem gut – nicht nur für die Touristen.
Attraktion 2: Containerdorf Ahrental
Bevor die Besuchergruppe in den Tunnel darf, werden die Sicherheitsvorkehrungen erklärt – inkl. Schutzkleidung. Foto: Kristina Erhard
Hier im Containerdorf am Eingang des Ahrentals – den Innsbruckern besser als Haus & Hof-Mülldeponie bekannt – erfahre ich endlich, warum ich seit Wochen nicht mehr gut schlafen kann. Das was ich in meinem Haus fälschlicherweise entweder als Einbrecher mit Vorschlaghammer, explodierende Waschmaschinen oder einstürzende Mauern missverstanden habe, entpuppen sich als Sprengungen, welche die BBT direkt unter meinem Heimatort durchführt. „An den guten Tagen kommen wir mit den Sprengungen in unserem Baulos („Bauabschnitt“ – Anmerkung der Redaktion) 7 Meter weit, an schlechten weniger,“ beantwortet mir Simon auf meine Frage, wann der Spuk vorbei sei. Schlauer bin ich in puncto Zeitmanagement nicht, aber ich finde heraus, dass die Tunnelbohr-Maschine (der immerhin bis zu 40 Meter pro Tag schaffen würde) auf Grund der Gesteinsstruktur unter meinem Haus nicht funktioniert. Na bitte.
Schweres Gerät fährt im Tunnel auf – die Tunnelbohrmaschine im Baulos rund um Innsbruck heißt Günther, die restliche Maschinen tragen Frauennamen. Foto: Kristina Erhard
Die Tunnelbohr-Maschine heißt übrigens Günther. Wegen dem Platter. Die Zubringer Maschinen tragen allerdings Frauennamen – ganz im Sinne der Gleichberechtigung.
Attraktion 3: der Tunnel
Jeweils links und rechts des Erkundungsstollens werden in die Höhe versetzt die beiden Hauptröhren in den Alpenhauptkamm gebohrt. Und gesprengt. Foto: Kristina Erhard
Die heilige Barbara ist für Mineure das, was für Yogis ihr Guru ist: eine spirituelle Begleitung. Foto: Kristina Erhard
Wir werde von Simon umfassend in die Sicherheitsvorschriften eingewiesen – zu meinem 80iger Jahre Revival-Outfit gesellt sich ein knallroter Notfallrucksack und ein paar gelbe Gummistiefel. Jetzt geht es in den Tunnel. An der Statue der heiligen Barbara vorbei, die von den Mineuren so verehrt wird wie Justin Bieber bei den U20, geht es hunderte von Metern in einem Bus in Richtung Erkundungsstollen. Ein scharfer Geruch steigt mir in die Nase, den ich so eher in einem original Tiroler Kuhstall vermutetet hätte. „Ammoniak,“ erklärt mir Simon, „ … kommt von den Sprengungen.“ Aha. Na wenigsten raubt mir nicht der Geruch in meinem Haus den Schlaf, sondern „nur“ die Schallwellen.
Immer tiefer in den Berg hinein… das „Ende“ des Tunnels wird von den Bauarbeitern „Ortsbrust“ genannt. Foto: Kristina Erhard
Trotzdem oder gerade deswegen: als wir an der „Ortsbrust“ ankommen, muss ich anerkennen, was für ein schier unermessliches Bauwerk hier entsteht. Ortsbrust? Richtig gehört – das ist der Begriff der Tunnelbauer für das „Ende“ des Tunnels. Also dort, wo gerade Sprengungen vorgenommen werden. Besonders Retro stechen mir die alten Telefonzellen der österreichischen Post ins Auge, welche alle 100 Meter entlang des Tunnels aufgestellt sind. Die sind nicht etwa dafür gedacht, schnell mal bei Mama anzurufen, sondern fungieren als Notfall-Telefone. WLAN gibt es im Tunnel allerdings auch.
Attraktion 4: das Infocenter in Steinach
Im Infocenter in Steinach werden offene Fragen rund um den Tunnelbau für Groß und Klein erklärt. Auch Fragen, die man gar nicht stellen würde. Man kann also was lernen. Foto: Kristina Erhard
Yuhuuu, im Indolenter Steinach kann man per rotem Knopfdruck eine Sprengung auslösen. Rein digital. Foto: Kristina Erhard
Der tiefen Erde wieder entkommen und 20 Minuten Busfahrt später schlendern wir mit Gerhard Pirker durch das Infocenter Steinach. Er betreut für den TVB Wipptal das Programm der Tunnelwelten in intensiver Zusammenarbeit mit den Südtiroler Touristikern. Insgesamt gibt es zwei Informationszentren zum Bau des Brenner Basistunnels: das in Steinach und eines in Franzensfeste bei Brixen. Allerdings kann man in Steinach auf den roten Knopf drücken, der eine Sprengung auslöst – diese geht rein digital natürlich auf einem großen Bildschirm in der Tunnelattrappe vonstatten. Egal. Trotzdem ein befriedigendes Gefühl. Ich verzeihe den Sprengmeistern, die jeden Tag pünktlich um 21:45 direkt unter meinem Haus auf den roten Knopf drücken. Viele der Fragen, die ich mir unter der Erde im Tunnel gestellt habe, werden hier im Infocenter von Gerhard anschaulich beantwortet: Stromverbrauch, Geologie und natürlich der allgegenwärtige CO2-Ausstoß – der Menschheit und der Menschen Spielzeug.
Attraktion 5: eine zünftige Jause – Ende gut, alles gut.
Auf die obligatorische Fleischkäs-Semmel im Tunnel mussten wir verzichten. Das Jausenpaket der Wipptaler Genussspechte beschert uns allerdings zum Abschluss einen Moment Schinken-lastiger Freude – ummantelt von zwei köstlichen Scheiben Bauernbrot. Da schweift mein Blick nochmal über die große topographische Karte auf die der Brenner Basistunnel mit einem roten Strich eingezeichnet ist: knapp 64 Kilometer zieht sich das Löchlein durch die Alpen. Ist anscheinend auch gut für Luft und Umwelt, immerhin soll der Güterverkehr mehr oder minder auf die Schiene verlagert werden. Damit wird auch das Wipptal noch ursprünglicher und „natural“, als es irgendwie eh schon ist. 64 Kilometer Verbindung werden hier für eine kleine Ewigkeit gebaut. Da darf es ruhig noch ein bisschen rumpeln. Ist ja für einen guten Zweck.
Die Führungen werden ab April 2017 in zwei Paketen angeboten – im Classic oder Premiumpaket. Die Pakete wird man auch direkt bei Innsbruck Tourismus buchen können. Die Führung umfasst mehrere Stationen: das Infocenter Steinach, 2 exklusive Tunneleinfahrten und Besichtigung der Hauptdeponie. Die ca. 4,5 Stunden lange Führung wird von einem erfahrenen Guide begleitet inkl. umfassender Schutzkleidung. Mehr Informationen bekommst du telefonisch unter 0043 5272627016 beim Tourismusverband Wipptal.
Die Physikochemikerin Erika Cremer (1900–1996) gehört zu den bedeutendsten Forscherpersönlichkeiten der Universität Innsbruck. Da die Wissenschaftswelt in…