Die Ausstellung „Widerstand und Wandel. Über die 1970er-Jahre in Tirol“ im aut. architektur und tirol widmet sich den Jahren zwischen 1961 und 1989. Der besondere Fokus liegt dem Titel entsprechend auf den 1970ern.

In den 1970ern, gleich vorweg, lebte ich noch in einem Bergdorf, ging in die Volksschule und war weit entfernt von allem, was nach Aufbruch roch – außer einem touristischen vielleicht.

Übersichtlich auf Zeitleisten präsentiert sind die einzelnen Jahre: unten Architekturen, darüber eine Textleiste, und eine Bildleiste, die historische Ereignisse in einen Kontext stellt.

In Innsbruck (und Umgebung) aber entstanden in dieser Zeit wichtige, zum Teil noch heute aktive Kultur- und Sozialeinrichtungen. Dazu gehören etwa die Galerie im Taxispalais, das Programmkino Cinematograph oder das Jugendzentrum Z6.

Sieben Akteure stellten sich als Zeitzeugen den Fragen der Ausstellungsmacher.

„Widerstand und Wandel. Über die 1970er-Jahre in Tirol“ berücksichtigt – neben architektonischen Highlights natürlich – politische, kulturelle und soziale Neuerungen, von denen wir heute noch profitieren und stellt die Veränderungen in einen internationalen Kontext.

Sturm und Drang

Auf mehreren Etagen und in mehreren Räumen durchmisst die Ausstellung die Zeit von Anfang der 1960er Jahre bis Ende der 1980er. Zu Beginn geben Akteure jener Sturm- und Drangzeit in Interviews einen persönlichen Einblick. Sie lassen uns an ihren Erinnerungen teilhaben und machen die Vergangenheit lebendig.

Dietmar Zingl war ab 1981 Geschäftsführer des Otto-Preminger-Instituts, dem Trägerverein des „Cinematograph“.

So erzählt etwa „Kinomacher“ Dietmar Zingl über die schwierigen Anfänge des Programmkinos in Innsbruck, über die Entwicklung des Cinematograph in der Museumstraße und die Eröffnung des Leo-Kinos 1999 in der Anichstraße. Die Journalistin Krista Hauser erinnert an „Horizont. Kulturpolitische Blätter für Tirol“, die von 1972 bis 1981 alle zwei Monate als Beilage der Tiroler Tageszeitung erschienen.

Erinnerungen teilen – die Besucher sind eingeladen, ihre Erinnerungen via Post-It zu hinterlassen.

Norbert Pleifer darf natürlich auch nicht fehlen. Zusammen mit Claudius Baumann gründete er 1978 das Kulturzentrum Komma in Pradl. 1981 übersiedelte der Verein in den Treibhaus-Turm in der Angerzellgasse, den die Architekten Rainer Köberl, Gerhard Manzl und Raimund Rainer geplant hatten. Noch heute ist das Treibhaus eines der wichtigsten Kulturzentren der Stadt. Wer sich die Erinnerungen der Zeitzeugen komplett anhören will, braucht natürlich Zeit. Aber es lohnt sich!

Die Filmausschnitte geben atmosphärische Einblicke in einzelne Ereignisse.

Jahre an der Wand

Die Jahrzehnte sind dann an den Wänden in Form einer mehrteiligen Leiste aufgearbeitet. In der „Basslinie“ finden sich interessante Bauwerke aus den Jahren, darüber eine Textspur mit Ereignissen, teilweise verbunden mit den oberhalb angebrachten Bildern, Fotografien, aber auch Filmen, Platten und anderen Objekten.

Die „Basslinie“ markieren exemplarische Bauten aus den behandelten Jahrzehnten.

Lokale, regionale, nationale und globale Ereignisse werden so miteinander verknüpft – beginnend mit der Eröffnung der Geschäftsstelle für Bewährungshilfe in Innsbruck 1961 und dem Bau der Berliner Mauer und endend 1989 mit der Gründung des heute nicht mehr existierenden alternativen Wohn- und Kulturprojekt „Haus am Haven“ am Innrain und dem Fall der Berliner Mauer.

Widerstand und Wandel

Ich schlendere den Mauern entlang, betrachte Bilder und lese die dazugehörigen Texte – wie etwa über die Grundsteinlegung des Jugendzentrums MK im Frühjahr 1964 in der Sillgasse. Der Leiter der MK, der legendäre Jesuitenpater Sigmund Kripp, wurde einige Jahre später vom nicht minder legendären Innsbrucker Bischof Paulus Rusch entlassen – was nicht nur in Innsbruck hohe Wellen schlug.

An den Wänden regionale, nationale und internationale Ereignisse übersichtlich dargestellt, auf den Tischen Bauprojekte jener Zeit

Ein Jahr später sperrte derselbe Bischof das Jugendzentrum Z6 in der Zollerstraße, das daraufhin in Dreiheiligen jene Räume bezog, in denen es heute noch untergebracht ist. 1964 öffnete die Galerie im Taxispalais (heute Taxispalais Kunsthalle Tirol) in der Maria-Theresien-Straße ihre Türen. Hier sollten in den folgenden Jahrzehnten bedeutende Künstler präsentiert werden, so etwa Walter Pichler (1967), Gerhard Richter (1973) oder Architekturbüro Coop Himmelblau (1975) und Gilbert & George (1977).

Über die Jahre

Wenige Monate nach dem Rockfestival in Woodstock (USA) begannen 1969 die ersten 73 Studenten ihr Studium an der neu errichteten Technischen Universität in Innsbruck. 1971 eröffnete das Theater am Landhausplatz, strahlte das ZDF erstmals die Sendung „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal aus und wurde Oswald Oberhubers „Röhrenplastik“ im Neubau der Chirurgischen Klinik in Innsbruck aufgestellt. Die Skulptur stieß auf massive Ablehnung und wurde 1973 entfernt. Im selben Jahr bezog der Cinematograph Räumlichkeiten am Innrain, 1984 übersiedelte er in die Museumstraße. Dort befindet sich das Programmkino heute noch.

Die Ausstellung läuft bis 24. Oktober 2020 im aut. architektur und tirol im Adambräu.

Was wegen des Klimawandels wieder diskutiert wird, war bereits 1974 großes Thema: ein autofreier Tag pro Woche. Damals gab die Ölpreiskrise den Ausschlag für die Maßnahme. 1986 datiert die Gründung des Veranstaltungszentrums Utopia in der Tschamlerstraße und sorgte die große Nuklearkatastrophe in Tschernobyl für weltweite Bestürzung.

Häuser und Möbel

Auf den Tischen finden sich aktuelle Fotografien von 27 Bauten aus den drei Jahrzehnten samt kurzen Beschreibungen. Ein besonderes Gustostückerl stellen ohne Zweifel die Steckmöbel des Innsbrucker Architekten Egon Rainer dar. Wie ein Modellsatz konnten diese ganz einfach daheim zusammengebaut werden. Stylisch, robust und zeitlos schön – einen solchen Stuhl hätte ich gern in meinem Wohnzimmer!

Eine Entdeckung: die Steckmöbel des letztes Jahr verstorbenen Innsbrucker Architekten Egon Rainer

Mächtig viel Input also in der Ausstellung „Widerstand und Wandel. Über die 1970er-Jahre in Tirol“, mit einem Besuch gar nicht zu bewältigen. Da die Ausstellung aber bis 24. Oktober 2020 läuft (sie wurde verlängert!), ist genügend Zeit für häufigere Betrachtungen.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung mit Vorträgen, Führungen, Filmvorführungen. Darüber hinaus liefert ein 500 Seiten starkes Buch ergänzende Aufsätze zum Thema.

Ausstellung „Widerstand und Wandel. Über die 1970er-Jahre in Tirol“
Verlängert bis 24. Oktober 2020

aut. architektur und tirol
Lois-Welzenbacher-Platz 1
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten: DI–Fr 11:00–18:00 Uhr, Sa 11:00–17:00 Uhr, an Feiertagen geschlossen
Tel. +43 512 571567
office@aut.cc
www.aut.cc

Ein Überblick über alle Museen und Ausstellungshäuser in Innsbruck und seinen Feriendörfern findet sich auf innsbruck.info

Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Susanne Gurschler

Ähnliche Artikel